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Digital Health im Gesundheitswesen

Digital Health im Gesundheitswesen

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens wird in den kommenden zehn Jahren die Medizin, Krankenversorgung und Gesundheitsförderung maßgeblich verändern. Digital Health hat Auswirkungen auf sämtliche Beteiligte des Gesundheitssystems – von der Forschung, über Diagnostik, Behandlung und Pflege bis hin zu Management und Verwaltung.

Was ist Digital Health?

Digital Health bezeichnet den Einzug von digitalen Technologien auf alle Ebenen des Gesundheitssektors. Manche sprechen auch von Medizin 4.0 analog zur Industrie 4.0.

Welche Bereiche gehören zu Digital Health?

„Digital Health“ ist kein einzelnes Teilgebiet. Vielmehr umfasst es eine große Menge an Entwicklungen, Ideen und Innovationen, die Gesundheit und das Gesundheitssystem digitaler machen. Dazu gehören unter anderem die Bereiche:

KI in der Medizin

Künstliche Intelligenz gilt als Schlüsseltechnologie im Gesundheitsbereich. Sie hat Anwendungsmöglichkeiten von der Forschung, über die Behandlung bis hin zur Verwaltung (s.u.). Schon heute ist sie in Auswertung von bildgebenden Verfahren stark. Künstliche Intelligenz kann aber auch Demenz in einem frühen Stadium erkennen oder voraussagen, wie ein Patient / eine Patientin eine Chemotherapie vertragen wird.

Das liefert ganz neue Möglichkeiten für Prävention und gezieltere Therapien. Bereits in Entwicklung ist der digitale Zwilling eines Menschen, der aufgrund seiner genetischen und medizinischen Daten erstellt wird: An diesem Zwilling wird dann mit Computersimulation getestet, ob ein Medikament in Frage kommt oder wie eine bestimmte Therapie wirken könnte. Laut einer Studie von PWC über Künstliche Intelligenz in der Gesundheitswirtschaft kann KI allein in Europa die Gesundheitsausgaben binnen zehn Jahren um einen dreistelligen Milliardenwert senken.

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E-Health

Der Begriff E-Health bezeichnet üblicherweise alle digitalen Gesundheitsanwendungen, bei denen Informations- und Kommunikationstechnologien genutzt werden. Beispiele sind die elektronische Gesundheitskarte, die elektronische Patientenakte (ePA) oder das elektronische Rezept etc.

M-Health

M-Health oder mobile Health meint alle mobilen Geräte, die zu Gesundheitszwecken eingesetzt werden: das Smartphone mit einer Gesundheitsanwendung, das Wearable zur Selbstüberwachung, aber auch Notknöpfe für betreutes Wohnen.

Wearables

Wearables sind mit Sensoren ausgestattete Minicomputer, die am Körper getragen werden und zum Beispiel Schritte zählen, den Puls messen oder den Blutzucker bestimmen. Der Begriff ist die Kurzform von „wearable computing“, „tragbares Computersystem“. Bekannt sind sie vor allem als Fitness- und Wellnesstracker, aber auch in der Medizin von großem Interesse, etwa zur Therapieüberwachung oder als Frühwarnsystem zum Beispiel vor Herzinfarkt. Zu wearables zählen auch intelligente Pflaster (smart patches), in Kleidung vernähte Sensoren (smart textiles), aber auch Herzschrittmacher, Hörgeräte oder smarte Implantate.

DiGAs

DiGas – digitale Gesundheitsanwendungen – sind Gesundheits-Apps, die Ärzt:innen verschreiben dürfen und von den Krankenkassen bezahlt werden. Deutschland hat als erstes Land der Welt DiGAs im Jahr 2021 zu einer Kassenleistung gemacht.

Elektronische Patientenakte (ePA)

Die elektronische Patientenakte (ePA) ist ein virtueller Speicherort für die medizinischen Unterlagen von Patient:innen. Sie können dort Dokumente wie Arztbriefe, Entlassungsbriefe, Laborbefunde oder Röntgenbilder hochladen. Behandler:innen kommen nur mit Einwilligung der Patient:innen an diese Dokumente. Der Vorteil: Wichtige Daten stehen an einem Ort und müssen nicht mehr zwischen Behandler:innen hin- und hergeschickt werden; Patient:innen haben ihre Daten in der Hand. Die Gesetzlichen Krankenkassen stellen die ePA seit 2021, die privaten seit 2022 ihren Versicherten zur Verfügung.

Elektronisches Repezt (e-Rezept)

Seit Januar 2022 haben alle Versicherte einen Rechtsanspruch auf eine digitale Arzneimittelverordnung: Beim elektronische Rezept (e-Rezept) erhalten Patient:innen von ihrer Arztpraxis einen digitalen Rezeptcode, den die Apotheke ausliest. Dazu benötigen sie auf ihrem Smartphone eine App oder ihre Praxis druckt ihnen den Code auf Papier aus.

Telemedizin

Telemedizin heißt, Patient:innen über Distanz zu beraten, diagnostizieren. Aus dem „Gang zum Arzt“ wird also die „Verbindung zum Arzt“, man spricht auch von der virtuellen Sprechstunde. Telemedizin gilt als eine mögliche Antwort auf den Arztmangel auf dem Land. Telemedizin hat im Zuge der Corona-Pandemie an Bedeutung gewonnen: Im März 2021 hatten bereits fast 40 Prozent der EU-Bürger telemedizinische Angebote genutzt.

Smart Hospital

Bis 2025 müssen sich deutsche Krankenhäuser digitalisieren. Sogenannte Smart Hospitals wollen mit digitalisierten Prozessen und Technologien die Versorgung auf ein neues Level heben. So versteht sich das Universitätsklinikum Essen – es ist ein Vorreiter bei Smart Hospitals – als „nach allen Seiten informationsoffene Steuerungseinheit“, eng verzahnt mit allen vor- und nachgelagerten medizinischen Dienstleistungen, also niedergelassenen Ärzten, Rehabilitationseinrichtungen, Apotheken und vielen anderen Stakeholdern des Gesundheitswesens.

Das Smart Hospital orientiere sich also nicht an den Mauern der Klinik, sondern an der Gesundheits- und Krankengeschichte der Patienten. Smart Hospitals bringen beispielsweise Künstliche Intelligenz in Diagnostik und Entscheidungsprozesse ein, aber auch in die operative Steuerung ihrer Klinikbetriebe. Sie setzen auf Robotik, um medizinische Leistungen zu verbessern (Bsp.: Operationen) und ihr Personal zu entlasten (Routinearbeiten in der Pflege). Sie bieten die elektronische Patientenakte an.

Die Digitalisierung der Medizin: Das sind die großen Trends

Big Data: Gesundheitsdaten in großen Datensätzen

Noch nie konnten derart viele Daten gesammelt, analysiert und in Zusammenhang gebracht werden wie heute. Dank Künstlicher Intelligenz werden die drei „Vs“ von Big Data – „Volume“ (Größe), „Variety“ und „Velocity“ (Geschwindigkeit der Datengenerierung) zunehmend beherrschbar. Anwendungsbereiche sind zum Beispiel 

  • Forschung, die unterstützt von Quantencomputing und KI, passende Wirkstoffe bzw. mögliche Wirkstoffziele (Targets) findet.
  • Diagnostik für bildgebende Verfahren wie Röntgenbilder, für die selbstlernende Algorithmen trainiert werden. Außerdem können Rechner, die mit medizinischen Datenbanken verbunden sind, Ärzt:innen helfen, Krankheitsbilder schneller und präziser zu erkennen.
  • Therapien, die besser durchgeführt werden können, wenn sich dank medizinischer Daten und Real-World-Daten von großen Patient:innengruppen Muster erkennen lassen
  • Bei Operationen erlauben OP-Roboter an der Seite von Menschen präzisere Eingriffe.
  • In der Steuerung von Krankenhäusern, Krankenkassen und weiteren Gesundheitseinrichtungen können Prozesse mithilfe von KI effizienter und zielführender gestaltet werden.

Personalisierte, präventive und prädiktive Medizin

Die Lebenswissenschaften verstehen die molekularen Vorgänge im Körper immer besser. Anhand von Gesundheitsdaten zur Krankheitsausprägung bei Patient:innen  erforschen die Krankheitsentstehung inzwischen auf der Zellebene. Zur Genomik, die die Gene erforscht hat, kommen viele weitere „omik“-Fächer, die die feinen Vorgänge beschreiben: etwa die Proteomik, die sich mit der Gesamtheit der Proteine beschäftigt, die Lipidomik oder die Metabolomik. Computergestützte Geräte ermitteln in biologischem Material Gene, Proteine und Stoffwechselprodukte, mithilfe der Bioinformatik werden sie ausgewertet. Moderne lebenswissenschaftliche Forschung ist das Zusammenspiel vieler Fachdisziplinen und bringt das Verständnis über Erkrankungen auf eine präzisere und frühere Ebene. Daraus entstehen personalisierte Therapien, wie heute schon in der Krebsmedizin, die gezielt an bestimmten biologischen Merkmalen einer Erkrankung ansetzen. Computerbiologie und der Vergleich von möglichst vielen Krankheitsfällen über Datenbanken treiben diese Personalisierung mit voran. Mit zunehmendem Verständnis über Erkrankungen kann die Medizin sehr viel früher als bisher Krankheiten behandeln oder gar verhindern. Wir sind auf dem Weg zu einer präventiven, personalisierten und prädiktiven Medizin

Neue Wissenswelt und Netzwerke

Wir generieren in ungeheurem Tempo medizinisches Wissen. Es ist so viel und komplex, dass wir es nur noch gemeinsam auch nur annähernd erfassen können: In einer datengetriebenen Medizin ist die Zeit der individuellen ärztlichen Kunst vorbei. Ärzt.innen werden in Diagnostik und Entscheidungsfindung nicht nur von digitalen Assistenten und decision making systems unterstützt. Sie vernetzen sich auch stärker miteinander in der Versorgung, etwa durch Online-Austausch zu medizinischen Fragen oder durch telemedizinisch unterstützte Operationen, bei denen ein weit entfernter Spezialist hinzugezogen werden kann.

Individualisierung und Customer-Orientierung

Menschen in westlichen Industrienationen sind es gewohnt, ihr Leben über digitale Begleiter zu organisieren: Einkäufe, Bankgeschäfte, Fernlernkurse oder die Partnersuche … Diese Erwartung trifft zunehmend auch aufs Gesundheitssystem: In vielen Routinefällen könnten Patient:innen online rasche Beratung und Hilfe bekommen, anstatt erst einen Arzttermin abzuwarten: sei es durch einen kurzen Onlineaustausch mit dem Arzt, einer virtuellen Sprechstunde mit dem Chatbot (rund um die Uhr verfügbar) oder einem virtuellen Symptomchecker. Experten erwarten von einer solchen Technisierung, dass Medizin wieder menschlicher wird, da Ärzt:innen von Routineaufgaben befreit sind.

Gesundheitsdaten und Datenschutz

Datenschutz ist ein hohes Gut. Gleichwohl bildet der historisch gewachsene Datenschutz in Deutschland die Möglichkeiten heutiger Forschung durch Datenauswertung noch nicht mit ab. Die Regelungen sind praxisfern und wirken restriktiv: Das verstellt den Weg zu neuen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten. Hinzu kommt ein Flickenteppich aus Datenschutzregelungen auf Landes- und Bundesebene.

Viele Akteure fordern inzwischen, dass Datenschutz nicht zum Hemmschuh für medizinischen Fortschritt werden darf. Auch die Bevölkerung steht dem Thema offen gegenüber: Laut Branchenverband BITCOM würden 79 Prozent ihre Gesundheitsdaten anonym und unentgeltlich digital für die medizinische Forschung zur Verfügung stellen (Stand 2019).

Digital Health Umfrage zu Datenschutz bei Gesundheitsdaten

Digital Health in Deutschland: Das ist der aktuelle Stand

Schon vor der Covid-Pandemie wurde die schleppende und fehlende Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems kritisiert. Im Digital Health Index der Bertelsmann-Stiftung von 2018 landete Deutschland unter 17 westlichen Industrienationen auf Platz 16. Vorn lagen Estland, Kanada, Dänemark und Israel. Die Covid-Pandemie machte die Dringlichkeit der Digitalisierung des Gesundheitswesens vollends deutlich.

Laut Bertelsmann-Stiftung zeichnen sich erfolgreiche Länder durch den Dreiklang aus effektiver Strategie, politischer Führung sowie einer festverankerten Institution zur Koordination des Digitalisierungsprozesses aus. In Deutschland sind die Beharrungskräfte im System zu groß, es gibt zu viele Einzellösungen, da es an Rahmenbedingungen und Interoperabilität fehlt, außerdem fehlt der Gesamtplan.

Im Ergebnis verläuft die Digitalisierung dann schleppend. Der eHealth-Monitor 2021 von McKinsey zeigt: Obwohl mehr als 90 Prozent der Hausarztpraxen an die Telematikinfrastruktur angeschlossen sind, kommunizieren weiterhin 95 Prozent der Ärzt:innen in Papierform mit den Krankenhäusern. Dabei stehen Versicherte den digitalen Möglichkeiten offen gegenüber: 71 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung fordern laut Bitcom mehr Tempo beim Ausbau digitaler Angebote in der Medizin. 6 von 10 wollen das elektronische Rezept nutzen (59 %), zwei Drittel (66 %) die elektronische Patientenakte. Im Zuge der Corona-Pandemie stieg die Nutzung von digitalen Sprechstunden laut McKinsey um das 900-fache auf 2,7 Millionen Kontakte.

Stand: März 2022

Quellen:

Berufsverband der Deutschen Chirurgen: Smart Hospital am Beispiel der Universitätsmedizin Essen. Abgerufen am 7. März 2022: https://www.bdc.de/smart-hospital-am-beispiel-der-universitaetsmedizin-essen/

Bitcom: Deutschlands Patienten fordern mehr digitale Gesundheitsangebote. Abgerufen am 15. Februar 2022. https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Deutschlands-Patienten-fordern-mehr-digitale-Gesundheitsangebote.

Bohnet-Joschko, Sabine (Hrsg.), Kooperativ und vernetzt: Digitale Transformationsfelder der Gesundheitswirtschaft. Witten 2021. Abgerufen am 28. Februar 2022. https://www.atlas-digitale-gesundheitswirtschaft.de/projekt/trendstudie/

McKinsey & Company: E-Health-Monitor 2021. Deutschlands Weg in die digitale Gesundheitsversorgung. Status quo und Perspektiven. Abgerufen am 15. Februar 2022. https://www.mckinsey.de/news/presse/2021-11-18-ehealth-monitor-2021

Ralf Huss: Künstliche Intelligenz, Robotik und Big Data in der Medizin. Springer 2019.

PWC: Digitalisierung im Gesundheitswesen. Abgerufen am 1. März 2022. https://www.pwc.de/de/gesundheitswesen-und-pharma/digitalisierung-im-gesundheitswesen.html

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