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„Um Daten für den Fortschritt gegen Krebs nutzen zu können, müssen wir die Barrieren im System und in einigen Köpfen überwinden.“

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Ein Interview dazu mit Prof. Dr. Roland Eils Gründungsdirektor des BIH-Zentrums Digitale Gesundheit am Berliner Institut für Gesundheitsforschung.

Die Bundesregierung hat die „Dekade gegen den Krebs“ ausgerufen. Inwieweit kann die Digitalisierung dabei helfen, den Krebs zu besiegen?

Prof. Eils: Ich glaube, Krebs ist ein perfektes Beispiel für einen Bereich, aus dem die Digitalisierung geradezu nicht wegzudenken ist. Warum? Gerade in der Krebsforschung werden gewaltige Datenmengen erzeugt, ich nenne das Beispiel der Genomsequenzierung, bei der für einen Patienten gewaltige Datenmengen generiert und verknüpft werden müssen mit den klinischen Daten aus dem Behandlungskontext. Und natürlich haben wir nicht nur einen Patienten, den wir isoliert betrachten, sondern wir haben hunderte, tausende, zehntausende Patienten mit ähnlichen Tumoren an einer Institution, deutschlandweit, europaweit, weltweit, und diese Daten werden nur rudimentär miteinander verknüpft, geschweige denn miteinander analysiert. Da gibt es unglaubliche Herausforderungen, aber auch Chancen, gerade für Methoden des Maschinenlernens, der Künstlichen Intelligenz, wo wir versuchen, voll automatisiert zu lernen, Tumore besser zu charakterisieren und besser vorhersagen zu können, wie wir diese Tumore effizient behandeln können.

Prof. Eils über die Forschungsschwerpunkte seiner Professur für Digitale Gesundheit
Können Sie das einmal an einem konkreten Behandlungsverlauf erklären? Beispielsweise: Ein Patient ist an Blutkrebs erkrankt, wird behandelt und gleichzeitig wird mit seinen Krebszellen Grundlagenforschung gemacht … Was bringt das dem Patienten?

Prof. Eils:  In den vergangenen Jahren erhielten wir häufig Tumorproben aus der Krankenversorgung, die wir genetisch charakterisiert haben. Wir wollten mehr über die Mechanismen erfahren, die Krebs auslösen oder zu seinem Fortschreiten führen. Doch von diesen Erkenntnissen profitieren bislang nur wenige Patienten. Weil es keinen strukturierten Prozess gibt, mit dem diese Informationen wieder zurück in die Klinik getragen werden. Das heißt, wenn derselbe Patient, an dessen Tumorproben wir geforscht haben, zwei Jahre später mit einem Rückfall in dieselbe Klinik kommt, weiß der behandelnde Onkologe in der Regel nicht, dass es eine Vielzahl von genomischen Daten gibt, die möglicherweise sehr informativ wären, um zu verstehen, warum der Patient einen Rückfall hat und wie er möglicherweise nun besser behandelt werden könnte -  basierend auf den genetischen Charakterisierungen, die wir an diesem Tumormaterial des Patienten durchgeführt haben. Das heißt, es gibt überhaupt keinen wechselseitigen Austausch zwischen der Patientenwelt, die im Universitätsklinikum residiert, und der Forschungswelt in den Großforschungseinrichtungen sowie den Universitäten und sonstigen Institutionen.

Wie weit ist denn der technische Fortschritt schon gediehen, dass die Digitalisierung der Gesundheit oder der Behandlung schon in jede Klinik einziehen könnte?

Prof. Eils: Vom technischen Standpunkt aus gesehen könnte die Digitalisierung im Gesundheitswesen bereits sehr viel weiter fortgeschritten sein. Sehr viele Prozesse in der Krankenversorgung werden entweder noch in Papierform abgewickelt oder aber existieren in Datensilos innerhalb der Institutionen, die nicht miteinander kommunizieren. Technisch gesehen könnte man alles wunderbar miteinander verknüpfen, da gibt es keine wirklichen Herausforderungen im Sinne von „das ist technisch nicht umsetzbar und lösbar“. Aber zum Beispiel die Beschreibung einer bestimmten Krankheitsentität muss in einem Kreiskrankenhaus im Norden von Deutschland genauso geschehen wie in einem Universitätsklinikum in anderen Teilen von Deutschland, um eben diese Daten zwischen Patienten und Institutionen vergleichbar und austauschbar zu machen. Und da gibt es in der Tat gewaltige Herausforderungen im Bereich der so genannten Interoperabilität von Daten, die gerade im Gesundheitssystem besonders herausfordernd sind.

Gibt es auch Barrieren in den Köpfen?

Prof. Eils: Ja, die gibt es. Wir müssen Überzeugungsarbeit leisten, dass dieser Extraaufwand der digitalen Erfassung von Daten und auch der Beschreibung von Patientenbefunden, Arztbriefen usw. sich lohnt. Wenn man das alles standardisiert in IT Systemen abbildet, ist das zunächst einmal mehr Arbeit für den Arzt, die in seinen Routinealltag noch zusätzlich dazukommt. Wir werden hier nur erfolgreich sein, wenn wir nachweisen können, dass dieser Mehraufwand zu einem verbesserten Behandlungserfolg für den Patienten und gleichzeitig auch zu einer Verbesserung der Routineprozesse im klinischen Alltag eines Arztes führen wird.

Wie wollen Sie dieses Problem angehen?

Prof. Eils: Ich glaube, wir müssen in kleinen spezifischen Projekten exemplarisch zeigen, dass wir in der Tat zu einer Verbesserung der Patientenversorgung beitragen und gleichzeitig dem Arzt helfen können, seine Arbeit noch schlanker und effizienter durchzuführen, noch besser zu sein. Wenn wir das an ausgewählten Projekten und Krankheitsentitäten in ausgewählten klinischen Prozessen nachweisen könnten, dann glaube ich werden wir stückweise erfolgreich diese Digitalisierungsprozesse auch in anderen Bereichen umsetzen und durchsetzen können. 

Ein Projekt verfolgen Sie ja bereits ganz konkret im Bereich Krebs mit einigen Universitätskliniken, die sogar gerne mit Ihnen zusammenarbeiten wollen?

Prof. Eils: Wir haben acht Universitätskliniken, die sich im so genannten HighMed-Verbund dazu verpflichtet haben, ihre Daten von einer technischen Betrachtungsweise aus gesehen interoperabel zu gestalten, so dass Daten zwischen Institutionsgrenzen hinweg ausgetauscht werden können. Dazu gehört die Charité, aber auch das Universitätsklinikum in Heidelberg, Göttingen, Hannover, um nur einige zu nennen. Wir wollen anhand von drei klinischen Fallbeispielen systematisch nachweisen, dass dieser Datenaustausch zu einem Mehrwert in der Versorgung und in der Forschung führt. Und in der Tat ist eines unserer Fallbeispiele aus der Onkologie, wo wir virtuelle molekulare Tumorboards aufbauen wollen, um die Behandlung von Krebspatienten institutionsübergreifend zu standardisieren und zu verbessern. Aber es gehören auch Fallbeispiele dazu wie ein Infektionsfrühwarnsystem, wo wir sehr viel früher und präziser vorhersagen wollen, dass wir zum Beispiel einen Ausbruch von multiresistenten Keimen an einem Standort oder standortübergreifend beobachten können.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Nehmen wir an, dass nun einem behandelnden Arzt die Daten aus der Forschung eines bestimmten Patienten zur Verfügung stehen. Wenn jetzt der Krebspatient nach zwei Jahren, wenn er einen Rückfall hatte, wieder in die Klinik kommt und der Arzt die Daten zur Verfügung hat, was könnte das dem Patienten nutzen?

Prof. Eils: Wenn der Patient mit einem Rückfall in die Klinik kommt und zum Beispiel eine Metastase hat oder im selben Organ wieder ein neuer Tumor gewachsen ist, dann würde in der Regel wieder eine Probe entnommen werden, und wenn man das genetische Profil dieses wieder gewachsenen Tumors oder dieser Metastase untersucht und mit dem genetischen Profil des ursprünglichen Tumors vergleicht, dann würden wir sehr viel besser verstehen, welche Krebszellen die Behandlung überlebt haben. Daraus könnten wir dann sehr viel besser ableiten, wie wir diese überlebende Population der Krebszellen, die zur Metastasierung oder zum Wiederwachsen des Tumors geführt haben, besser und zielgerichteter behandeln können.

  1. Dieter Mrozinski

    Dieser Vorschlag erinnert mich ein wenig an die Industrie- Normung. Nur durch die industrielle Normung war es möglich Redundanzen in der Fertigung zu vermeiden und selbstverständlich auch enorme Kosten zu sparen. Warum ist es in der Medizin bis heute nicht möglich Vorschriften (Normen?) zu erstellen, die vorgeben, welche Daten ( Texte, Röntgen-, MRT Bilder, Blutwerte etc.) in welcher Form zur Verfügung gestellt werde müssen und wie sie von anderen autorisierten Personen abgerufen werden können? Eine solche Vorgabe mag der eine oder andere Mediziner als Belastung betrachten, aber es erleichtert schlussendlich allen, die im Dienste des Patienten stehen, die Arbeit und verbessert meiner Ansicht nach die Qualität, die Schnelligkeit des Eingreifens und reduziert insgesamt die Kosten.

    vor 4 Jahren
  2. Christian Wolff

    Interessant, aber altbekannt, die Erkenntnis über Massendaten zu gewinnen zur Lösung eines Problems. Eine Krankheit ist ein Problem! Und Probleme sind immer (!) Resultate. Wir haben seit der Industrialisierung ein Massendenken. Das gilt für Produkte genauso, wie bei der Epidemiologie oder beim Wirksamkeitsnachweis von Präparaten. Nur: den Präparaten gemein ist, dass sie meist ein Problem lediglich umformen, während in der Epidemiologie oft Ursachen behoben werden (Kanalisation / Cholera, Hygiene/Pest etc) . Reicht das im Falle der Erkrankung nicht, wird nachgeholfen, z.B. per Antibiotika oder präventiv per Impfung. Hier funktionieren Massendaten also offensichtlich. Würde diese Art zu denken, auch bei Tumorerkrankungen helfen, wäre das Problem wahrscheinlich längst gelöst. Also: gibt es noch andere Denkebenen und wir sind nur noch nicht drauf gekommen geschweigedenn haben diese betreten? Schaut die Katze in ein Mauseloch, sieht sie eigentlich nur einen Tunnel. Und was ist, wenn keine Maus drin ist? Dann bekommt sie vom Rest „drumrum“ nichts mit. Wie wäre es, den Tunnel aufzuklappen und einen (Massen-) „Grabbeltisch an Ideen“ zu schaffen, in dem jeder deine Gedanken kundtun kann? Vielleicht ist da dann der zündende Geistesblitz dabei und wird verstanden, bevor der analytische Verstand diesen vorauseilend zerlegt hat? Ich würde das dann Kreativität nennen.

    vor 4 Jahren

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