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Gesundheitskompetenz: Die Mehrheit kommt nicht mehr zurecht

Gesundheitskompetenz: Die Mehrheit kommt nicht mehr zurecht

Mehr als jeder Zweite in Deutschland kommt mit Gesundheitsinformationen nicht klar. Das sind mehr als im europäischen Durchschnitt, wie eine neue WHO-Studie zur Gesundheitskompetenz zeigt. Worum es geht und was untersucht wurde.

Gesundheitskompetenz – warum sie wichtig ist

Wenn es um die Gesundheitskompetenz geht, schätzen sich die Deutschen schlechter als der europäische Durchschnitt ein. Das zeigt die Studie „European Health Literacy Population Survey 2019-2021“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Demnach haben 58,8 Prozent der Menschen in Deutschland eine geringe Gesundheitskompetenz. EU-weit sind es im Schnitt 46 Prozent. Ein Alarmzeichen, denn Experten sehen Gesundheitskompetenz als wichtigen Eckpfeiler an, um gesund zu bleiben oder zu werden. Was genau versteht man unter Gesundheitskompetenz und wie wird sie gemessen? Hier die Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Was ist Gesundheitskompetenz?

Gesundheitskompetenz beschreibt die Fähigkeit, kompetent mit Gesundheitsinformationen umgehen zu können, um im Alltag angemessene Urteile über und Entscheidungen zur eigenen Gesundheit treffen zu können. Menschen mit einer guten Gesundheitskompetenz fällt es leicht, Gesundheitsinformationen zu finden, sie zu verstehen, zu beurteilen und sie anzuwenden. Der Begriff ist eine freie Übersetzung des in den 1970er-Jahren entwickelten englischen Begriffs „Health Literacy“.

Wie wird „Health Literacy“ gemessen?

Die Messung der allgemeinen Gesundheitskompetenz einer Person beruht auf einer Selbsteinschätzung per Fragebogen: Dort geben die Teilnehmenden an, wie leicht, mittel oder schwer sie es finden, Informationen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden. Geschaut wird jeweils in den Bereichen Krankheitsbewältigung / Versorgung, Prävention und Gesundheitsförderung. Größeres Gewicht haben in den vergangenen Jahren im Gebiet der Gesundheitskompetenz zudem drei Themen gewonnen, die extra gemessen werden:

Die navigationale Gesundheitskompetenz

Die navigationale Gesundheitskompetenz ist wichtig, um die bestmögliche Versorgung für sich zu erhalten. Sie beschreibt die Fähigkeit, Gesundheitsinformationen finden und verarbeiten zu können, um sich damit im Gesundheitssystem zu orientieren und sich durch seine Organisationen und Dienste zu navigieren. Das Problem: Das deutsche Gesundheitssystem ist in der Vergangenheit immer komplexer, zergliederter und unüberschaubarer geworden.

Die kommunikative Gesundheitskompetenz oder auch Arzt-Patienten-Beziehung

Die kommunikative Gesundheitskompetenz beschreibt, wie gut Patient:innen mit Ärzt:innen interagieren können. Dahinter steckt der Wandel der Arzt-Patienten-Beziehung: Beide sollen partnerschaftlich gemeinsame Entscheidungen zur Behandlung und Versorgung treffen, das sogenannte Shared Decision-Making. Das Problem: Die Rollenverteilung ist neu, erfordert daher Anpassungen – etwa mehr Eigenverantwortung von Patient:innen und eine bessere Kommunikation durch Ärzt:innen.

Die digitale Gesundheitskompetenz

Mit der Digitalisierung haben sich die Informations-, Interaktions- und Kommunikationsmöglichkeiten im Gesundheitssystem deutlich erweitert. Das Problem: Die enorme Menge digitaler und die Durchmischung korrekter und inkorrekter Gesundheitsinformationen macht es den Menschen schwer, relevante, verlässliche und vertrauenswürdige Gesundheitsinformationen zu finden. Um mit dieser Menge an Informationen und Kanälen umzugehen, braucht es die digitale Gesundheitskompetenz.

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Warum ist Gesundheitskompetenz wichtig?

Studien zeigen, dass Gesundheitskompetenz und Gesundheitsverhalten sowie Gesundheitszustand eng zusammenhängen. So ernähren sich Menschen mit geringerer Gesundheitskompetenz ungesünder, sie bewegen sich seltener, rauchen häufiger und sind öfter übergewichtig als jene mit höherer Gesundheitskompetenz.

Darüber hinaus schätzen sie ihre eigene Gesundheit eher als nicht so gut ein und haben mehr Fehltage bei der Arbeit. Sie nutzen zudem das Gesundheitssystem stärker – sind also öfter beim Arzt, im Krankenhaus und rufen häufiger den ärztlichen Notdienst.

Wie kann man Gesundheitskompetenz fördern?

Gesundheitskompetenz ist keine rein persönliche Angelegenheit – auch die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Ein Beispiel: Damit verschiedene Gruppen wie zum Beispiel ältere Menschen Gesundheitsinformationen finden können, müssen sie kontinuierlich auf verschiedenen Kanälen verbreitet werden. Und sie müssen verständlich, korrekt und anwendbar sein, damit es möglich ist, auf ihrer Grundlage auch Entscheidungen in Bezug auf die eigene Gesundheit zu treffen.

Um die Rahmenbedingungen zu verbessern, wurde daher in Deutschland 2018 von Experten der „Nationale Aktionsplan Gesundheitskompetenz“ vorgelegt. Er sieht Gesundheitskompetenz als gesellschaftliche Aufgabe an und empfiehlt, das Gesundheitssystem und Gesundheitsinformationen nutzerfreundlicher zu gestalten. Auch Ärzt:innen sollen bereits im Studium lernen, besser zu kommunizieren und sie sollen ihren Patient:innen nützliche Materialien zur Verfügung stellen.

Die Gesundheitskompetenz der Deutschen soll zudem durch entsprechende Angebote in der Schule, im Beruf und am Wohnort gefördert werden. Ebenso auch die Medienkompetenz, damit sie Gesundheitsinformationen besser einschätzen und richtige von falschen unterscheiden können.

Woran hakt bei der Gesundheitskompetenz in Deutschland?

In die aktuelle WHO-Studie sind die Ergebnisse des von der Universität Bielefeld durchgeführten Health Literacy Survey Germany 2eingeflossen – er wurde zwischen Dezember und Januar 2020 zum zweiten Mal nach 2014 durchgeführt. Hier die 5 wichtigsten Erkenntnisse:

  • Gesundheitskompetenz ist sozial ungleich verteilt: Die Lebenserwartung hängt mit sozioökonomischen Faktoren zusammen: Besonders Menschen mit niedrigem Bildungsgrad, niedrigem Sozialstatus, im höheren Lebensalter und mit chronischer Erkrankung oder langandauernden Gesundheitsproblemen haben in Deutschland eine durchschnittlich geringere Gesundheitskompetenz.
  • Einschätzung von Gesundheitsinformationen fällt schwer: Von den vier Schritten bei der Informationsverarbeitung (Finden, Verstehen, Beurteilen, Anwenden) fällt den Deutschen die Beurteilung von Informationen am schwersten – fast 75 Prozent haben hier Probleme.
  • Kommunikation mit Ärzt:innen klappt gut: Nur knapp 36 Prozent haben eine geringe kommunikative Gesundheitskompetenz. Doch es gibt auch hier Verbesserungsbedarf: Mehr als die Hälfte der Deutschen findet es zum Beispiel schwer, von Ärzt:innen verwendete Begriffe zu verstehen oder ausreichend Gesprächszeit mit ihnen zu bekommen.
  • Digitale Gesundheitskompetenz ist niedrig: 76 Prozent haben eine geringe digitale Gesundheitskompetenz und große Schwierigkeiten, mit digitaler Information umzugehen – besonders wenn es um die Beurteilung ihrer Vertrauenswürdigkeit und Neutralität geht.
  • Die navigationale Gesundheitskompetenz ist noch niedriger: 83 Prozent der Deutschen haben hier eine geringe Kompetenz. Vor allem fällt es ihnen schwer, Informationen über Gesundheitsreformen zu verstehen, die die eigene gesundheitliche Versorgung betreffen könnten. Ebenfalls ein Problem: Herauszufinden, welche Rechte man als Patient:in hat und welche Unterstützungsmöglichkeiten es gibt, um sich im Gesundheitswesen zurechtzufinden.

Foto: Shutterstock

 

aktualisierter Beitrag, Stand: Februar 2022

  1. Hans Georg Trebbien

    Das Gesundheitsbedürfnis korreliert mit dem Sicherheitsbedürfnis, und beides wird immer größer. Die Kapazität des einzelnen wächst aber nicht mit. Die traditionellen Autoritäten für Gesundheit Arzt und Apotheker werden systematisch diskreditiert durch fachfremde Institutionen wie vor allem die Krankenkassen. So entsteht viel mehr der subjektive Eindruck nicht kompetent zu sein, als das wirklich der Fall ist.

    vor 3 Jahren
  2. Andrea

    Strategiepunkt Nr. 1: Einfache Sprache

    vor 3 Jahren

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