1. Für eine effektive Prävention der Zukunft müssen wir Antworten auf zwei Königsfragen finden: Was ist unser Ziel? Und wer legt die Maßnahmen fest, wie wir dieses Ziel erreichen können?
In Deutschland fehlt es uns nicht an guten Ideen für mehr Prävention. Jede Menge motivierte kluge Menschen bringen tolle Initiativen auf den Weg. Außerdem stecken wir seit Einführung des Präventionsgesetzes 2015 mehr Geld – einige sagen noch nicht genug – in vorbeugende Maßnahmen. Aber ich vermisse die klar formulierte übergeordnete Strategie: Wo wollen wir eigentlich hin? Was wollen wir erreichen? Es fehlt der Wille, Ziele zu formulieren und zu bewerten. Stattdessen sind wir Weltmeister im Datensammeln und veröffentlichen unfassbar umfangreiche Präventionsberichte voller Zahlen, hinter denen nicht einmal der interessierte Leser eine Strategie entdecken kann, die über das Präsentieren eben jener Zahlen hinaus geht. Doch erst wenn wir Ziele definieren, kann die eigentlich spannende Diskussion darüber anfangen, an welcher Stelle es sich besonders lohnt, in Prävention zu investieren und welche Maßnahmen zu einer Erreichung unserer Ziele beitragen können.
2. Wir brauchen quantitative Ziele statt qualitative Absichtserklärungen.
Ziele sind immer dann nützlich, wenn sie messbar und bewertbar sind. Also wenn sie über die reine, qualitative Absichtserklärung hinausgehen und konkret definieren, was in den nächsten fünf, zehn oder 15 Jahren erreicht werden soll. Nur dann kann es gelingen, erfolgreiche von weniger erfolgreichen Strategien zu unterscheiden, Gutes weiter zu fördern oder Kurskorrekturen vorzunehmen.
Wollen wir weniger Neuraucher, wollen wir die Raucherinnenquote von Schwangeren reduzieren, wollen wir weniger Jugendliche mit akuter Alkoholintoxikation in den Klinken, wollen wir die Sterblichkeit bestimmter Krebserkrankungen reduzieren? Alles unbestritten wichtige Public Health-Ziele. Aber wo können wir begrenztes Gesundheitsbudget in den nächsten Jahren zielführend investieren? Im Ansatz erkennbar sind solche Ziele und Überlegungen bereits in der Zahnmedizin oder beim Impfen: Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt beispielsweise eine Grippeschutz-Impfquote von 75 Prozent bei älteren Erwachsenen. Dieses Ziel haben wir in Deutschland zwar noch nie erreicht, aber das ist eine andere Geschichte.
3. Wir brauchen die regelmäßige Evaluation unserer Präventionsmaßnahmen.
So gut wir in Deutschland darin sind, Maßnahmen zu initiieren, so schlecht sind wir da drin, ihre Wirkung am Ende auch zu evaluieren. Wenn sich wirklich etwas ändern soll, dann müssen die Prozesse bei der Prävention immer demselben Zyklus folgen: Zielsetzung, Maßnahmen-Defintion, Ausrollen der Präventionsangebote oder Maßnahmen und anschließend deren Bewertung bzw. Evaluation. Die Datenerfassung muss also ein natürlicher Bestandteil des Ganzen werden.
So macht es beispielsweise das US-Programm „Healthy People“, eine staatliche Initiative mit breiter Beteiligung verschiedener Fachgesellschaften und Institutionen. Dort werden im Zehn-Jahres-Zyklus Gesundheitsziele definiert – zu Präventionsthemen wie Krebs, mentale Gesundheit, Impfprävention, sexuelle Gesundheit und vielen mehr. Ausgangspunkt ist immer eine Nullmessung, dann wird darüber beraten, was ein realistisches Ziel sein kann und welche Maßnahmen dort hinführen können.
Dass morgen alle Menschen zur Vorsorgeuntersuchung gehen, ist beispielsweise kein realistisches Ziel. Fünf Prozent mehr Inanspruchnahme in den nächsten fünf Jahren vielleicht schon. Während der Laufzeit werden die Maßnahmen dann evaluiert und alle Beteiligten sehen ganz genau, was erreicht werden konnte, welche Modelle erfolgreich, welche weniger erfolgreich waren. Dieses Wissen hilft dann dabei, die knappen Ressourcen besser zu allokieren.
4. Wir sollten stärker aufs Digitale setzen statt auf Plakatkampagnen.
Beispiele erfolgreicher Prävention haben heute fast immer eines gemeinsam: Sie kommen aus Gesundheitssystemen, die digitalisiert sind. Allein schon das Smartphone kann sowohl für jüngere als auch ältere Menschen ein sehr niedrigschwelliger Einstieg sein. In skandinavischen Ländern bekommen die Bürger:innen eine Einladung für ein Zervixkarzinom-Screening auf ihr Smartphone und zwar direkt mit dem Termin. Wer ihn nicht haben will, muss ihn aktiv ablehnen.
Selbst wenn wir in Deutschland in einem ersten Schritt noch gar nicht so weit gehen: Wir könnten Versicherte per SMS zu Präventionsprogrammen und Vorsorgeuntersuchungen einladen. Das wäre deutlich erfolgsversprechender als eine große Plakatkampagne, die insbesondere die Zielgruppen weniger gut erreicht, die allgemein weniger Gesundheitsvorsorge betreiben und entsprechende Leistungen nachfragen.
5. Wir müssen begreifen: Investitionen in Prävention sind Investitionen in die Gesellschaft
Es ist neben dem Schutz für die Bevölkerung unbestritten, dass wir durch mehr Prävention insbesondere bei großen Volkserkrankungen wie Diabetes, koronaren Herzerkrankungen, Krebs oder auch bei psychischen Erkrankungen und Verhaltensstörungen große volkswirtschaftliche Potenziale haben. Die Folgen des Tabakkonsums werden auf einen hohen zweistelligen Milliarden-Betrag geschätzt. Das setzt sich zusammen aus den die direkten Behandlungskosten für tabakverursachten Erkrankungen und indirekte Kosten wie Arbeitsausfälle, Ausscheiden aus dem Erwerbslebe oder vorzeitigem Tod. Analysen, die ökonomische Effekte von Prävention umfassend bewerten, liegen aber nur sehr lückenhaft vor. Dabei ist Prävention nicht pauschal gut bzw. immer nützlich. Auch falsch positive Ergebnisse von Vorsorgeuntersuchungen können Schäden und Kosten versuchen. So ist immer das Nutzen-Risiko-Verhältnis auch von Präventionsmaßnahmen abzuwägen.
Gerade vor dem Hintergrund einer älter werdenden Gesellschaft, in der nicht nur Erkrankungen zunehmen, sondern auch der Fachkräftemangel in Medizin und Pflege – und gerade auch mit Blick auf die Diskussionen um eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit – müssen wir uns bewusst machen, dass Investitionen in Prävention Investitionen in eine gesündere und damit zukunftsfähigere Gesellschaft sind. Dabei sind begleitende Themen der Präventionsarbeit genauso wichtig wie die Maßnahmen selbst: etwa die Digitalisierung, die Verbesserung des Monitorings und die Datenverfügbarkeit.
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