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Bestes Gesundheitssystem der Welt?

Hat Deutschland eines der besten Gesundheitssysteme der Welt? Mit den dritthöchsten Pro-Kopf-Ausgaben nach den USA und der Schweiz hat es zumindest eines der teuersten. Was kommt dabei rum? Wie ist der Output vom Input? Ein Blick in die Statistik.

Bestes Gesundheitssystem

Wie gut oder schlecht ein Land abschneidet, ist natürlich von vielen Faktoren abhängig und kommt auf die Betrachtung an – und so viel vorweg: Deutschland liegt in vielen Bereichen auf den obersten Plätzen.

Wie gut ist das deutsche Gesundheitssystem im Vergleich?

Freie Arztwahl, eher kurze Wartezeiten auf einen Termin und vergleichsweise viele Versicherungsleistungen: Das deutsche Gesundheitssystems taucht in Rankings immer wieder weit oben auf – ein Grund ist der nahezu universelle Zugang zu Gesundheitsleistungen.

 

Während etwa die Hälfte der EU-Staaten „Gatekeeper“-Systeme haben, in denen Hausärzt:innen entscheiden, ob man einen Facharzt bzw. eine Fachärztin sieht und welche:n, können wir hierzulande selbst auswählen (vorausgesetzt, wir leben städtisch oder stadtnah und haben die Wahl).

 

Platz 3 der teuersten Gesundheitssysteme, aber auch viel Leistung

Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen

Dafür haben wir mit 8.011 Euro pro Kopf allerdings auch das drittteuerste Gesundheitssystem, wie der 43-Länder-Vergleich von „Health at a glance“ zeigt. Dieser jährliche OECD-Bericht vergleicht Gesundheitsindikatoren aus den OECD-Mitgliedsstaaten sowie den wichtigsten Schwellenländern und zeigt für Deutschland eine hohe Leistungsabdeckung durch die Versicherung.

Das gesündeste Land der Welt? Platz 4 bei jährlichen Arztbesuchen

Allerdings sind wir trotz hoher Gesundheitsausgaben ein Land, in dem nur knapp zwei Drittel der Menschen ihre Gesundheit als gut oder sehr gut einschätzen.

Mehr als 40 Prozent der Menschen geben an, an einer langjährigen Krankheit bzw. einem Gesundheitsproblem zu leiden. Besonders stark trifft es die Menschen mit den niedrigsten Einkommen: Hier berichtet mehr als jede:r Zweite von dauerhafter gesundheitlicher Einschränkung. Unsere 9,5 Arztbesuche jährlich übertreffen nur noch Korea, Japan und die Slowakei.

 

Doch was macht uns krank? Leider immer wieder Leiden, die durch einen gesunden Lebensstil weitgehend vermeidbar wären. Im Gesamtvergleich liegen wir mit 129 tödlichen Fällen pro 100.000 Bürger:innen bei „vermeidbaren Erkrankungen“ zwar unter dem Mittelwert, aber immer noch zu hoch . Auch die 66 Todesfälle pro 100.000 bei behandelbaren Krankheiten.

 

Weltweit sind Menschen in Israel am wenigsten von solchen vermeidbaren Fällen betroffen , am stärksten in Mexiko. „Fast ein Drittel aller Todesfälle hätte durch effektivere und rechtzeitige Prävention und Therapiemaßnahmen verhindert werden können“, schreibt die OECD zu Gesamtüberblick.

 

Wie kann das deutsche Gesundheitssystem besser werden?

Prävention im Vergleich

Viel Geld für Krankheit, wenig für Gesundheit: Prävention muss gestärkt werden

Die Prävention müsste also einen viel höheren Stellenwert bekommen. Bislang gibt unser Gesundheitssystem weniger als 5 Prozent für Prävention aus, wobei man auch sagen muss, dass Vorsorge nicht allein die Aufgabe des Gesundheitsressorts sein kann.

Einige Beispiele dazu:

Impfquoten

  • Nur etwas mehr als 90 Prozent der Säuglinge sind gegen Diphtherie, Tetanus und Pneumokokken geimpft- liegt unter dem OECD-Durchschnitt.
  • Nicht ganz 50 Prozent der Deutschen über 65 waren 2021 gegen Grippe geimpft – Platz 25

 

Krebsvorsorge

  • Die Vorsorgeuntersuchungen bei Brustkrebs und Gebärmutterhalskrebs nehmen nur 48 bzw. 45 Prozent der Frauen wahr (Platz 23 bzw. 21, unter dem OECD-Durchschnitt.

Wie gesund man in einem Land aufwächst und lebt, entscheidet sich unter anderem auch im Bildungs-, Verkehrs- oder Landwirtschaftsministerium. Ein Health-in-all-Policies-Ansatz wäre ein wichtiger Hebel, um das Gesundheitssystem zu entlasten und stärkere Lebensqualität durch gesündere Lebensbedingungen zu schaffen.

Absehbare Versorgungslücke: Babyboomer gehen in Rente

Ein solcher Fokus auf Prävention ist nicht zuletzt mit Blick auf unsere Ärzt:innenversorgung geboten. Schon heute sind 44 % der Mediziner:innen über 55 Jahre alt. In den kommenden zehn Jahren kommen immer mehr Babyboomer in Rente und mit ihnen viele Ärzt:innen.

 

Gleichzeitig werden immer mehr von ihnen Patient:innen. Vor einem ähnlichen Problem steht Italien, wo schon mehr als jeder zweite Mediziner und jede zweite Medizinerin über 55 sind – bei einer ebenfalls „alten“ Bevölkerung (Altersdurchschnitt: 46,5 Jahre. Deutschland: 47,8). Gleichwohl fühlen sich in Italien Dreiviertel der Bevölkerung gesund.

 

Deutsches Gesundheitssystem verbessern mit Digitalisierung

Wo also noch anpacken? Als unerlässlich sieht die OECD, die digitale Transformation entschieden voranzutreiben. Sie kann die Gemengelage, die durch Bevölkerungsalterung, ungesunde Lebensstile und die zunehmende Berentung von Mediziner:innen entstehe, entschärfen.

 

Doch allein schon relativ einfache Dinge wie Video-Sprechstunden, Online-Terminvereinbarung oder die Bestellung von Folgerezepten via E-Mail sind in Deutschland noch nicht wirklich etabliert. Das Digitale ist in der Gesundheitsversorgung immer noch nicht alltäglich. Anders als in Schweden, Großbritannien, Norwegen oder den Niederlanden.

Fazit: Mehr „value for money“ schaffen

Zusammenfassend lässt sich also sagen: Deutschland wendet viele Mittel für Gesundheit auf und bietet seinen Bürger:innen dafür einen sehr guten Systemzugang mit zahlreichen bezahlten Leistungen. Gleichwohl sind das keine Investitionen in Gesundheit – denn fragt man die Menschen nach ihrem Gesundheitszustand, dann landen wir eher im Mittelfeld.

 

Bei der Lebenserwartung liegt Deutschland mit rund 81 Jahren etwas über dem OECD-Durchschnitt, aber hinter den meisten anderen Staaten Westeuropas. Bei vermeidbaren Todesfällen erreichen wir schlechtere Ergebnisse als andere Länder mit geringerem Mitteleinsatz. Letztlich brauche es also „mehr ‚Value for Money‘“, wie es einer der Autoren von Health at a glance einmal ausdrückte.

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