Die 1997 gestartete deutsch-österreichische „Klosterstudie“ fand große Beachtung: Sie zeigte, dass Männer im Kloster länger leben als in der Außenwelt. Damit war klar: Die durchschnittlich kürzere Lebenserwartung gegenüber Frauen kann nicht überwiegend an der Biologie liegen. Was bestimmt die Lebenserwartung der Geschlechter und der Menschen generell dann? Ein Gespräch mit dem Urheber und Leiter der bis heute fortgesetzten Studie, Dr. Marc Luy.
Kurz gefragt
Wie hoch ist die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland?
Die Lebenserwartung eines neugeborenen Jungen liegt bei 78,6 und die eines Mädchens bei 83,4 Jahren. (Quelle: Destatis)
Warum werden Männer und Frauen in der Klosterstudie beinahe gleich alt?
Im Kloster werden Männer fast so alt wie Frauen. Die eigene Lebenserwartung muss also maßgeblich beeinflussbar sein – und kann nicht nur biologische Gründe haben. Ordensleute führen ihre Gesundheit auf den geregelten Tagesablauf, die lebenslange Aufgabe und die harmonische Gemeinschaft zurück.
Herr Dr. Luy, Männer leben durchschnittlich in Deutschland nicht so lange wie Frauen – außer im Kloster. Dort werden sie fast gleich alt. Was sagt uns das?
Es sagt uns vor allem, dass die kürzere Lebenserwartung von Männern in der Allgemeinbevölkerung nicht biologisch bedingt sein kann. Zumindest nicht zum großen Teil. Die eigene Lebenserwartung ist also stark beeinflussbar. Viele Menschen gehen davon aus, dies sei alles biologisch vorgegeben. Aber das ist ein Trugschluss.
"Der Tabakkonsum ist zu 50 Prozent für die Unterschiede in der Sterblichkeit zwischen Frauen und Männern verantwortlich."
Was verkürzt das Leben der Männer denn?
Es gibt vor allem einen Faktor, der eine zentrale Rolle spielt: das Rauchen. Der Tabakkonsum ist zu 50 Prozent für die Unterschiede in der Sterblichkeit zwischen Frauen und Männern verantwortlich. Seit den frühen Achtzigern des vorigen Jahrhunderts schließt sich diese Schere aber übrigens, weil sich seitdem das zunehmende Rauchen bei den Frauen auswirkt.
Männer fingen früher mit dem Rauchen an, aber dafür gingen die Raucherzahlen bei ihnen auch früher wieder zurück. Bei den Frauen steigen sie noch immer an.
Mönche rauchen nicht?
Schon, aber im Vergleich zu den Männern „draußen“ weniger. Die haben auch gar nicht so viel Zeit zum Rauchen. Ich bin immer wieder überrascht, wie eng die Zeitabläufe eines Klosterlebens sind; frei gestaltbare Zeit gibt es da weitaus weniger. Und das wiederum scheint sich günstig auszuwirken.
Wussten Sie das?:
Hatte ein Mensch, der heute 80 Jahre alt ist, in seiner Jugend eine bakterielle Infektion, konnte ihm die damalige Medizin kein Antibiotikum bieten. Denn das stand erst in den 1940er Jahren in größeren Mengen zur Verfügung. Einer der großen Meilensteine der Medizin.
Dieser Mensch hat die erste Herzoperation, die erste Nierentransplantation, die Entdeckung des Aufbaus des Erbguts und die erste Implantation eines Herzschrittmachers als Sensation erlebt. In seinen achtzig Jahren ist die Lebenserwartung in Deutschland um rund 20 Jahre gestiegen.
Das Gefühl, gebraucht zu werden und ein wichtiger Teil der funktionierenden Gemeinschaft zu sein, hält offensichtlich jung.
Inwiefern?
Weil es zu einer Stressreduktion führt. Interessanterweise gaben alle Mönche, mit denen ich über unsere Ergebnisse gesprochen habe, vom Abt bis zum Koch, sofort den geregelten Tagesablauf als den wichtigsten Faktor für ihre hohe Lebenserwartung an. Sie beschrieben die genaue und enge Taktung des Alltags als große Erleichterung: Man muss nicht ständig den Tag neu organisieren und ist weniger mit Unvorhergesehenem konfrontiert.
Ich erkenne darin die Beschreibung eines stressärmeren Lebens. Das passt auch zum zweithäufigsten Grund, den die Ordensmänner für ihre Gesundheit nannten: Dass sie eine lebenslange Aufgabe haben. Wer also ins Rentenalter kommt, behält im Kloster seine Rhythmen, seine Tätigkeiten – und muss sich nicht neu definieren wie die weltlichen Männer, die durch das Ausscheiden aus dem Berufsleben einen starken Bruch erleben.
Das Gefühl, gebraucht zu werden und ein wichtiger Teil der funktionierenden Gemeinschaft zu sein, hält offensichtlich jung.
Gemeinhin denkt man ja: Arbeit ist Stress. Und Rente bedeutet weniger Stress …
Es ist auch Stress, keine Aufgabe mehr zu haben und etwas Neues suchen zu müssen, um das Leben auszufüllen. Nur herumsitzen kann belastend werden – das kam in den Erzählungen aus dem Kloster deutlich rüber.
Es gibt mittlerweile ja eine Zweitstudie. Was hat die denn ergeben?
In dieser Fortführungsstudie möchten wir nun mehr über die Gesundheit der Ordensleute erfahren, die ja die Grundlage für ihre Lebenserwartung sein muss. Wir haben dafür 1200 Ordensleute befragt, die ersten Ergebnisse werden bald publiziert. Aber, ich kann schon sagen: das Leben in einer harmonischen Gemeinschaft wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus.
Im Umkehrschluss heißt das wohl, dass ein Leben in unharmonischer Gemeinschaft stressig und folglich ungesund sein kann. Das passt auch gut zu den Studien, die herausgefunden haben, dass sich Einsamkeit negativ auf das Wohlbefinden auswirkt.
Es ist viel von Stress die Rede.
Ja, die Erkenntnisse unserer Forschung zu den Determinanten von Gesundheit und Langlebigkeit gehen viel mehr in Richtung Stress, als ich ursprünglich erwartet hatte. In diesem Kontext sehe ich auch ein anderes interessantes Ergebnis der Studie, nämlich dass Ordensleute mit geringerer Bildung vom Klosterleben besonders gesundheitlich profitieren: Während sich in der weltlichen Gesellschaft Bildungsunterschiede sehr stark auf Gesundheit und Lebenserwartung auswirken, tun sie das bei den Ordensmännern nicht.
Hier befinden sich die Mönche mit geringerem Bildungsabschluss auf dem gleichen gesundheitlich höheren Niveau wie hoch gebildete Männer, die sich inner- und außerhalb des Klosters nicht unterscheiden. Ich glaube, Stress ist auch hier ein Schlüsselfaktor. Arbeit hängt mit Stress zusammen, sowohl inner- als auch außerhalb des Klosters. Aber das Klosterleben kann durch den geregelten Tagesablauf und die klaren Aufgaben offensichtlich stressreduzierend wirken.
Warum leben Nonnen eigentlich im Kloster nicht länger als in der Außenwelt? Sie sind doch im gleichen „Biotop“?
Ja, aber auch hier kommen wir wieder zum Faktor Stress. Die beruflichen Tätigkeiten von Nonnen sind fast durchweg stressig: Krankenschwestern im Schichtdienst, Grundschullehrerinnen und Kindergärtnerinnen sind Berufe, die stark auf die Psyche gehen.
Solch einen Stress haben Frauen in der Allgemeinbevölkerung statistisch gesehen weniger, weil es dort auch nicht berufstätige Hausfrauen gibt – dieser Zustand ist durchaus gesundheitsfördernd. Und so scheinen die gesundheitlichen Vorteile des Klosterlebens, die es natürlich auch in den Frauenklöstern gibt, durch den im Vergleich zu den weltlichen Frauen höheren beruflichen Stress ausgeglichen zu werden.
Ist der Faktor Stress gefährlicher als manche Krankheit?
Stress ist Ursache von Krankheiten und kann auch ein Hemmnis sein, dass Krankheiten heilen. Meine persönliche Hypothese ist, dass Stress der wesentlich gewichtigere Krankheitsfaktor dieses Jahrhunderts werden wird als Übergewicht, das die meisten Gesundheitsforscher als den kommenden Nachfolger des Rauchens ansehen.
Adipositas ist natürlich vor allem in den USA und zunehmend in Großbritannien ein großes Problem – aber ich denke, dass Stress das Gesundheitsrisiko Nummer 1 werden wird.
Eine aktuelle Studie aus Großbritannien gibt im Fachmagazin Lancet Hinweise darauf, dass mit Blick auf die Zahl gesunder Lebensjahre schon in der Jugend negative Gleise gelegt werden können. Sind Sie auf ähnliche Erkenntnisse gestoßen?
Als Antwort auf die Frage, was man für ein langes und gesundes Leben tun kann, gibt es den Spruch: Suchen Sie sich die richtigen Eltern aus. Der Sozialstatus der Eltern beeinflusst die Gesundheit der Kinder tatsächlich enorm: Nicht nur durch die Ernährung daheim, sondern auch durch Zugang zu Medizin und zu Bildung.
Das wird alles in gewisser Weise vererbt. Es wäre eine wichtige Aufgabe der Politik, dort für Veränderungen in den Ungleichheiten anzusetzen.
In der erwähnten Zweitstudie wurden 1200 Ordensleute in regelmäßigen Abständen zu Gesundheit und Lebensstil befragt. Die Ergebnisse werden derzeit ausgewertet.
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