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Guter Fehler? Böser Fehler?

Fehlerforscher Michael Frese

Wer lernen will, macht Fehler. Doch in Deutschland tut man sich mit Fehlern schwer. Warum? Ein Gespräch mit dem Psychologen Professor Michael Frese, der das Weltranking der Fehlertoleranz erstellt hat.

Wer einen Fehler macht, ist gescheitert?

Michael Frese: Das hängt von Ihrer Einstellung zum Fehler ab. Und von Ihrer Herkunft. Wenn Sie etwa US-Amerikaner wären, würden Sie Fehler eher als Teil des Erfolgsrezepts sehen.

Wir Deutschen landen im weltweiten Ranking der Fehlertoleranz auf dem vorletzten Platz. Führt diese Intoleranz eher zum Erfolg oder zum Scheitern?

Michael Frese: Wer unbedingt Fehler vermeiden will, läuft Gefahr, Fehler nicht zu managen. Wenn sie doch auftreten, wird das Handtuch geworfen – und dieses Scheitern bleibt hängen, nicht der Fehler. Es ist also wichtig, dass ich einen Fehler schnell erkenne und rasch Konsequenzen ziehe, ohne darüber nachzudenken, welch ein Idiot ich war.

Sonst droht ein Scheitern?

Michael Frese: Genau. Neulich war ich bei einem Vortrag, da hatte der Referent einige falsche Folien eingepackt. Die Rede ging dann den Bach hinunter. Dieser kleine Fehler warf ihn aus der Bahn, obwohl ich mir sicher bin: Diesen Vortrag hatte der Mann schon öfters erfolgreich gehalten.

Sie lehren zurzeit in Singapur – der Stadtstaat landete bei Ihrem Fehler-Ranking auf dem letzten Platz ...

Michael Frese: ... Die Singapurer sind stolz darauf, dass sie intolerant gegenüber Fehlern sind. Sie lieben die Perfektion. Bei den Deutschen liegt der Fall anders. Sie sind Zauderer, überlegen lieber dreimal, bevor sie loslegen. Aber zumindest gibt es in Deutschland die Erkenntnis, dass man mit Fehlern besser umgehen muss.

Trotzdem gelten wir als Land der Erfinder, da hat uns unsere Fehlerangst also nicht geschadet?

Michael Frese: Nun, das Land der Erfinder ist schon ein wenig her. Die vielen Erfindungen geschehen mittlerweile woanders. Den Deutschen gelingt hingegen, die Erfindungen anderer zu integrieren, und zwar in ihre Produkte. Weil wir eben nicht die schnellsten sind, sind wir erfolgreich bei der so genannten zweiten Chance.

Sind wir Fehlerhasser, weil wir Angst haben, zu scheitern?

Michael Frese: Mit Sicherheit. Klar, jeder Fehler ist unangenehm. Und Versagen am Ende einer Fehlerkette ist auch kein Zuckerschlecken. Das wahre Problem aber entsteht, wenn wir scheitern, weil wir mit den Fehlern nicht umgehen. Da ist Schnelligkeit wichtig, halt keine deutsche Spezialität.

Könnten wir ohne diese Angst vorm Scheitern noch viel innovativer sein?

Michael Frese: Versagensangst kann Innovation behindern. Aber die Angst ist nicht per se das Problem, sondern eher die Langsamkeit, die daraus entsteht, dass man Sachen fehlerfrei machen möchte. Ein zweiter Punkt ist, dass man Fehler gerne erst einmal abstreitet nach dem Motto – das kann doch nicht mein oder unser Fehler gewesen sein.

Warum sind wir Deutschen eigentlich so?

Michael Frese: Ich vermute, dass diese Angst vor Fehlern und diese Unsicherheitsvermeidung schon seit langem existieren. Dass man sich vor Neuem fürchtet, ist eine historische Prägung. Und die stammt meiner Meinung nach vom Dreißigjährigen Krieg zwischen 1618 und 1648. Damals war alles Neue gefährlich.

Der Beginn unserer Angst vorm Scheitern aus der Asche eines Kriegstraumas heraus?

Michael Frese: Ja, aber man muss auch den positiven Aspekt sehen. Deutschland war immer gut darin, hoch risikoreiche Systeme zu erstellen, also zum Beispiel Nuklearkraftwerke, schnelle Luxus-Autos oder die Einführung einer mobilen Telefonie. Unsere Intoleranz gegenüber Fehlern wird dann zum Vorteil, wenn man genug Zeit hat.

Hat der Stolz der Singapurer auf ihre Fehlerintoleranz auch solche Vorteile?

Michael Frese: Ja, in der Tat – zum Beispiel ist Singapur extrem stark in der Logistik – auch einer dieser Bereiche, in denen es positiv ist, wenn man erstmal dreimal nachdenkt, welche Fehler auftauchen können. Aber Probleme entstehen, wenn man schnelle innovative Produkte in den Markt drücken will, etwa Apps für die Mobiltelefonie. Hier sind andere Länder mit geringerer Fehlerangst im Vorteil.

Sie erforschen schon Jahrzehnte den Umgang mit Fehlern. Wie stark hat sich die Einstellung zum Scheitern in Deutschland verändert?

Michael Frese: Ich begann 1985 mit der Fehlerforschung. Wenn ich mich damals an eine Firma wandte und meinte, dortige Fehler untersuchen zu wollen, war die Antwort: Solch eine Schweinerei machen wir nicht. Heute können wir diese Themen offener ansprechen; die Deutschen versuchen, besser mit ihrer Angst vor dem Scheitern umzugehen. Aber es reicht noch nicht.

Aber scheitern wollen die Menschen in fehlertoleranten Nationen auch nicht …

Michael Frese: … Nein, aber sie gehen mit dem Scheitern souveräner um. Schauen Sie auf die angloamerikanische Gesetzgebung, wie sie zum Beispiel mit Bankrott umgeht. In den USA bekennen Unternehmer frei, wenn sie eine Firma gegen die Wand gefahren haben. In Deutschland bekam ein Bankrotteur früher keinen Fuß mehr auf den Boden und auch heute stellt sich hier keiner hin und sagt: Ich bin besser geworden, weil ich schon einmal eine Pleite hingelegt habe.

Wie steht es um die Fehlerkultur in der Medizin?

Michael Frese: In Deutschland diskutieren Mediziner selbst untereinander kaum über Fehler. Mittlerweile gibt es zum Glück Internetforen, auf denen man anonym berichten kann, welche Fehler einem unterlaufen sind – so kann man selbst und können andere davon lernen.

Warum kommt das nur langsam in Gang?

Michael Frese: Ein Problem sind die Hierarchien. Was passiert, wenn ein Assistenzarzt den Chefarzt auf einen möglichen Fehler hinweist? Das Flugwesen zum Beispiel hat sich da schneller entwickelt. Die Zeiten, in denen der Chefpilot im Cockpit keine Widerworte duldete, sind vorbei. Und stattdessen ist es Usus, eigene Pilotenfehler anonym zu melden. Ziel soll ja sein, dass das Flugzeug nicht abstürzt.

 

 

 

Foto: Brinkhoff-Moegenburg/Leuphana

  1. Beate Kulina

    Fehler sind zum lernen da, solange keine Menschenleben durch die Fehler umkommen.
    Dann sollte man sehr vorsichtig mit dem
    Umgang mit Fehlern sein.
    In der Medizin sowie in der Wissenschadt
    und Politik.

    vor 5 years
  2. Prof. Dr. Michael Frese

    Mein Name ist Prof. Frese, Autor dieses Interviews. Kurzer Kommentar zu den drei Kommentaren. Alles richtig, was Sie sagen. Man kann der Medizin und keinem anderen Berufsstand in drei Zeilen Genüge tun. Sie sind weiter, aber Sie sind nicht weit genug. Ich habe mich vor einigen Jahren intensiv mit Fehlern in der Medizin auseinandergesetzt - damals bestand z.B. an Fragen der Fehlermanagementkultur kaum oder gar kein Interesse, sehr wohl aber an einem vollem Fehlervermeidungsprogramm - darum geht es mir. Wenn Sie in der Zwischenzeit weiter sind - wunderbar. Um dann wissenschaftlich basiert diskutieren zu koennen, bräuchte man nur noch flächendeckende Daten zur Fehlermanagementkultur in der Medizin - wenn das vorliegt, verspreche ich Ihnen, dass ich nie mehr eine solche generalisierende Aussage wie in diesem Interview vertrete. Bis dahin, bin ich aber noch ein bisschen skeptisch, ob die Kommentare evt. nur auf kleine Spezialgebiete zutreffen oder auf kasuistische Beobachtungen beruhen.
    Wenn Sie mehr Informationen brauchen - ich bin Ko-Autor eines Artikels zu Fehlern und Fehlermanagement im Annual Review of Psychology 2015 - dort finden Sie dann auch differenziertere Antworten.

    vor 5 years

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