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Deutsche Forschungsgesellschaft empfiehlt 17 Schritte zur Vorbereitung auf die nächste Pandemie

Die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) ist die zentrale Institution der deutschen Wissenschaft. In einer im September 2022 veröffentlichten Stellungnahme formuliert die „Interdisziplinäre Kommission für Pandemieforschung“ der DFG 17 Punkte, wie wir uns anhand der Erkenntnisse aus der Corona-Pandemie auf künftige Pandemien vorbereiten können. Auszüge aus dem Papier.

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Inhalt

So ist das DFG-Paper entstanden

Da sich verschiedene Wissenschaften in großer fachlicher Breite mit den Ursachen und Konsequenzen der Pandemie beschäftigt haben, hat die DFG ein interdisziplinäres Fachgremium mit 21 Mitgliedern aus allen wissenschaftlichen Fachgebieten gegründet.

Dieses hat die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Bewältigung der aktuellen COVID-19-Pandemie zusammentragen und Handlungslückenidentifiziert. Unter dem Ziel der „Pandemic Preparedness“ sind 17 Punkte entstanden, an denen Deutschland arbeiten/angehen muss, um auf die nächste Pandemie besser vorbereitet zu sein

 

Die erkenntnisorientierte Grundlagenforschung weiter stärken

Dass das Mainzer Unternehmen BioNTech in der Corona-Pandemie in Windeseile mRNA-Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 entwickeln konnte, lag auch und vor allem an vielen Jahren Grundlagenforschung  im Gebiet der mRNA-Technologie. 

 

Grundlagenforschung ist im Gegensatz zur angewandten Forschung auf reinen Erkenntnisgewinn aus, unabhängig von möglichen Anwendungen. „Die Basis für eine schnelle Reaktion auf zukünftige unvorhersehbare Krisensituationen war und ist die freie, von Neugier getriebene Grundlagenforschung, die einen breit angelegten Wissensspeicher und eine fundierte Urteilsgrundlage hervorbringt“, schreibt die Kommission. 

 

Grundlagenforschung dürfe deshalb gegenüber einer programmorientierten Förderung mit vorgegebenem Schwerpunkt auch zukünftig nicht geschwächt  werden.  

 

Nationale und internationale Vernetzung der Wissenschaften unterstützen

Mit Blick auf Reisebeschränkungen und fehlende persönliche Begegnungen waren im weltweiten Pandemiegeschehen die bestehenden institutionellen und persönlichen Netzwerke von Forschenden besonders bedeutsam. Um in weiteren möglichen Krisen effektiv zusammenzuarbeiten, müssen entsprechende unterstützende Strukturen weiter aufgebaut werden. 

Ebenfalls notwendig ist internationale Koordination, um beispielsweise Studienprotokolle gemeinsam zu entwickeln, zu harmonisieren und zu nutzen. Gleiches gilt für Erhebungsinstrumente sowie die Endpunkte (also das zu messende Studienziel) von klinischen Interventionsstudien und Datensätzen.   

Formate für die interdisziplinäre Zusammenarbeit stärken

Virologie, Immunologie, Infektiologie, Epidemiologie, Genetik, Psychologie, Soziologie, Kommunikationswissenschaft und mehr: Die Zusammenarbeit verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen ist zentral für die Bearbeitung und Bewältigung komplexer Krisen. 

 

Viele Forschende haben in der Pandemie über ihr traditionelles fachliches Umfeld hinaus miteinander kooperiert. So hat die DFG im März 2020 mit einer großen, interdisziplinär ausgerichteten Ausschreibung für neue Forschungsvorhaben rund um Epidemien und Pandemien reagiert. 

 

In diesem Sinn gilt es, das Potenzial für fachlich weit ausgreifende interdisziplinäre Forschung auszubauen und entsprechende Förderformate weiterzuentwickeln.  

Folgen der COVID-19-Pandemie langfristig erforschen und verstehen

In etlichen gesellschaftlichen Bereichen wird es in Zukunft rückblickend heißen: „Das war vor und das war nach der COVID-19-Pandemie.“ Sie bedeutet eine Zäsur und muss in ihren Langzeitfolgen für Gesundheitssysteme, Bildung, Wirtschaft, Handel und die Gesellschaft noch erforscht werden. Insgesamt besteht ein langfristiger Forschungsbedarf in nahezu allen Wissenschaftsbereichen. 

Digitale Infrastruktur des Wissenschaftssystems stärken

Durch die Pandemie hatten Forschende keinen oder nur beschränkten Zugang zu Forschungslaboren und zu Literatur, Archiven sowie nicht-digitalisierten Forschungsgegenständen und -materialien. 

 

Andere konnten draußen „im Feld“ keine Daten für Studien erheben. Wissenschaftsverwaltung und Forschungsinfrastrukturen müssen deshalb dringend weiter digitalisiert werden.  

Verfügbarkeit und Verknüpfung von Daten verbessern

Dass es im deutschen Gesundheitssystem und in der Forschung am Zugang zu Gesundheitsdaten und allgemein an  Digitalisierung mangelt, ist schon lange klar. In der Pandemie zeigte sich das Defizit drastisch: “Wissenschaftliche (Gesundheits-)Forschung in Deutschland agiert auf einer limitierten Datengrundlage, die dringende Analysen und Arbeiten mindestens verzögert haben”, so die DFG-Kommission.

 

Trotz aktueller Bestrebungen sind diese Daten im Vergleich zu anderen Ländern weiter nur sehr unzureichend zugänglich und nur schwer zu verknüpfen – aus organisatorischen und rechtlichen Gründen. Es braucht einen besseren Zugang zu Datensätzen der öffentlichen Verwaltung (beispielsweise Daten der Sozialversicherung, Steuerdaten, Bildungsdaten, Gesundheitsdaten, Daten über Unternehmen) und die Möglichkeit, sie über Institutionen, Bundesländer und Ländergrenzen hinweg zu verknüpfen. 

 

Grenzen wissenschaftlicher Evidenz in der Kommunikation deutlich machen

Die Gesundheits- und Gesellschaftskrise der Pandemie war auch eine Kommunikationskrise. Politisch Verantwortliche, so das Expert:innengremium, müssen die Grundlagen von Entscheidungen über Pandemie-Maßnahmen klar kommunizieren.

 

Es muss dabei kenntlich gemacht werden, „was wissenschaftliche Erkenntnis, was Vermutungen und was ‚gesunder‘ Menschenverstand und Extrapolation sind“, so die Kommission. Wobei die Herausforderung für die Wissenschaft in der Pandemiesituation darin besteht, neue Erkenntnisse kurzfristig zu überprüfen, zusammenfassend zu beurteilen sowie in der Folge kontinuierlich zu aktualisieren. 

 

Nicht wirklich aufzulösen ist die Tatsache, dass eine effektive Kontrolle der Pandemie die schnelle Einführung von Maßnahmen notwendig macht, die nicht in jedem Fall auf der Basis gut belegter Evidenz eingeführt werden können. Deshalb ist nun die nachträgliche fundierte Bewertung der Maßnahmen während der COVID-19-Pandemie unerlässlich.   

Zentrale Struktur für wirksame Gesundheits- und Krisenkommunikation schaffen

Fake News haben in der Zeit der Krise Hochkonjunktur. 

Die pandemiebegleitende „Infodemie“, also die im Übermaß verfügbaren guten wie schlechten Informationen, unterstreicht den Bedarf an evidenzbasierter Wissenskommunikation, die die Fülle der Informationen für die Öffentlichkeit vorsortiert und handlungs- und nutzerzentriert aufbereitet. In diesem Sinne bedarf es einer „zentralen Kommunikationsstruktur“, wie die Kommission es ausdrückt. 

 

Das könnte „eine unabhängige und vertrauenswürdige Institution“ sein, wo immer sie auch angesiedelt sei, die den jeweils aktuellen wissenschaftlichen Forschungsstand und alle relevanten Informationen im Kontext einer Pandemie (Schutzmaßnahmen etc.) vermittelt. Eine öffentliche Einrichtung, besetzt mit Kommunikationsprofis, die auch hinreichend weit entfernt ist von der Politik, besonders der Bundesregierung und den Landesregierungen. 

 

Der komplette DFG-Bericht „Wissenschaften in der Coronavirus-Pandemie“ mit allen 17 Punkten unter: https://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/corona_infos/stellungnahme_pandemic_preparedness.pdf

 

Bild: Shutterstock  

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