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Immuntherapie bei Krebs: So wird an neuen Therapien geforscht

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Technologien sind ein Schlüssel für die Medizin von morgen. Vor allem die Forschung braucht dafür Daten und Erfahrung zur Automatisierung zukünftig personalisierter Therapien wie den Immuntherapien. Die große Vision dahinter: Krebs mit der Kraft des Immunsystems zu bekämpfen, am allerbesten zu vermeiden. Damit Deutschland in der Erforschung der Zusammenhänge und Ansatzpunkte für die Therapien der nächsten Generationen eine führende Rolle spielen kann, sind vor allem zwei Tugenden wichtig, so Prof. Dr. Ulrike Köhl: Kooperation und Interdisziplinarität. Dabei kann die Krebsforschung auch von der Automobilindustrie lernen.

 

 

Prof. Dr. Ulrike Köhl, leitet das Institut für Klinische Immunologie am Universitätsklinikum Leipzig und das Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie in Leipzig (IZI)

Was sind Immuntherapien?

Bei der Immuntherapie wird das Immunsystem zur Bekämpfung der Krebserkrankung genutzt. Ziel der Immuntherapie ist es, entweder Teile des Immunsystems zu stärken oder Signale von Krebszellen zu blockieren, die eine Immunantwort unterdrücken. Immuntherapie ist nicht nur eine Methode, sondern umfasst eine Reihe verschiedener Therapien und Ansätze (mehr dazu lesen Sie im unteren Teil der Seite).

Kurz zusammengefasst:

  • Die wichtigen Ansatzpunkte für die Krebstherapie der Zukunft: Zell- und Gentherapien, Immuntherapien und Kombinationstherapien, um das Immunsystem für den Kampf gegen den Krebs zu rüsten.
  • Neue Technologien führen zu einem grundlegenden Wandel in der Forschung. 
  • In der Kooperation mit anderen Branchen wie der Autoindustrie liegt ein großes Potenzial z. B. in der automatisierten Herstellung patientenindividuelle Therapeutika.
  • Weit über 800 Klinische Studien laufen dazu weltweit. 90 Prozent davon hälftig in den USA und in China, 10 Prozent in Europa, weniger als 5 Prozent in Deutschland. Das liegt maßgeblich an den Rahmenbedingungen.

Frau Prof. Köhl, laut Selbstbeschreibung arbeitet das Fraunhofer IZI an den Schnittstellen von Medizin, Biowissenschaften und Ingenieurs¬wissenschaften. Wie viele Disziplinen braucht es für den Fortschritt in Zukunft?

Viele. Die Entwicklung neuer Therapeutika trägt der Heterogenität von Krebserkrankungen sowie der Individualität der Patienten immer mehr Rechnung. Aber auch die Herstellung und Anwendung dieser neuen Medikamente bedarf immer mehr Kooperation.

Ich denke da unter anderem an Digitalisierung und Automatisierungstechnologien im Bereich der Zell- und Gentherapien. Dabei kann die medizinische Forschung durchaus einiges von der Automobilbranche lernen. Kooperation und Interdisziplinarität sind also die gefragten Tugenden, um hierfür zukunftsfähige Technologien zu entwickeln.

Aufgrund der breit aufgestellten Forschungslandschaft kann und sollte Deutschland in diesem Bereich weltweit eine führende Rolle einnehmen. Die Fraunhofer-Institute mit Ihrer anwendungsorientierten Forschung sehe ich hierbei in einer besonderen Verantwortung.

Was kann die Forschung zu neuen Krebstherapien von der Autoindustrie lernen?

Vor allem die Adaption und den Einsatz von Schlüsseltechnologien wie Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Automatisierungsverfahren. Das beginnt bereits bei der Grundlagenforschung, wo immer genauere Daten und immer größere Datenvolumen generiert werden, deren Auswertung nicht mehr manuell realisiert werden kann.

Hinzu kommt die Herstellung patientenindividueller Therapien im industriellen Maßstab. Noch sind nur wenige Immuntherapien zugelassen, deren Herstellung mitunter über eine Woche und hochspezialisiertes Fachpersonal sowie eine umfassende Logistik benötigen.

Dies wird sich in den kommenden Jahren drastisch wandeln. Dem werden wir mit manuellen Herstellungsprozessen nicht begegnen können, hier braucht es Konzepte analog zur Automobilindustrie, wo individuell ausgestattete Fahrzeuge durch automatisierten Prozessstraßen und digital vernetzten Lieferketten produziert werden.

Das klingt sehr technisch.

Das ist es auch und gerade das stellt die Forschung vor immer neue Herausforderungen, denen wir durch interdisziplinäre Zusammenarbeit begegnen müssen. Die Zeiten, in denen Wirkstoffe überwiegend durch manuelle Screenings und das Trial and Error-Prinzip erforscht wurden, sind längst vorbei.

Mit welchen konkreten Lösungen ist das Institut derzeit befasst?

Das Fraunhofer IZI fokussiert sich aktuell auf zwei größere Forschungsbereiche, die allerdings einige Schnittmengen aufweisen. Im Bereich der Immunonkologie erforschen und entwickeln wir gemeinsam mit unseren Partnern Zell- und Gentherapien sowie andere Immun-basierte Medikamente.

Eine besondere Kompetenz haben wir im Bereich der GMP-Prozessentwicklung (Anmerkung d. Redaktion: damit ist der Transfer von Herstellungsprozessen aus dem Labor in einen klinischen Maßstab gemeint) aufgebaut und entwickeln diese stetig weiter. Vor allem im Bereich der Zell- und Gentherapien ist dieser Transfer von der Forschung zur pharmazeutische Herstellung äußerst komplex, sowohl technisch wie auch regulatorisch.

Der zweite Bereich ist die Infektionsbiologie, wo wir neben Diagnostika und Wirkstoffen auch neue Technologien zur Herstellung von Impfstoffen erforschen und entwickeln.

Interessanterweise gibt es dabei zahlreiche Schnittstellen zur Immunonkologie. Zum Beispiel im Bereich der Genvektoren. Wie die Corona-Impfstoffe gerade eindrucksvoll zeigen, finden diese Anwendung als Impfstoff. Zugleich dienen sie uns als Werkzeug zur genetischen Modifikation von Immunzellen, die dann zur Behandlung von Krebs genutzt werden.

Welche medizinischen Visionen bestehen denn auf dem Gebiet Immunonkologie?

Ganz allgemein zusammengefasst ist es die Nutzung des körpereigenen Immunsystems zur nachhaltigen Bekämpfung von Krebs. Die Fähigkeiten dazu besitzt es von Natur aus. Allerdings gelingt es den Krebszellen, sich durch verschiedene Mechanismen einer Immunantwort zu entziehen.

Die Vision der Immunonkologie ist es, diese „maskierenden“ Mechanismen zu durchbrechen und eine Erkennung und somit Bekämpfung durch die Immunzellen zu erwirken. Erste vielversprechende Erfolge sehen wir mit den Checkpoint-Inhibitoren und der CAR-T-Zelltherapie (CAR steht für „Chimeric Antigen Rezeptor“, der neu auf der Immunzelle erzeugt wird, um Krebszellen spezifisch anzugreifen).

Weitere Ansätze sind mRNA-Wirkstoffe und Vektoren. Die Zukunft liegt aber sehr wahrscheinlich in patientenindividuellen Kombinationstherapien.

Klinische Studien: "Wenn Deutschland den Anschluss an die internationale Spitze nicht gänzlich verlieren will, müssen sich einige Rahmenbedingungen dringend ändern."

Wo steht Deutschland dort im internationalen Vergleich?

Deutschland hat eine exzellente und sehr produktive Forschungslandschaft. Kaum ein anderes Land investiert und fördert in dem Umfang in medizinische Innovationen. Im Bereich der Translation und auch bei der Verwertung von Innovationen werden wir aber zusehends abgehängt. Dies äußerst sich auch darin, dass Deutschland bei der Wertschöpfung am Ende einer Neuentwicklung kaum noch Chancen hat und lediglich als Konsument teilweise eigener Innovationen zurückbleibt.

Prominentes Beispiel sind die Entwicklungen im Bereich der bereits genannten CAR-T-Zelltechnologie. Weltweit werden dazu über 800 Klinische Studien durchgeführt. 90 Prozent davon hälftig in den USA und in China, 10 Prozent in Europa und weniger als 5 Prozent in Deutschland. Wenn Deutschland den Anschluss an die internationale Spitze nicht gänzlich verlieren will, müssen sich einige Rahmenbedingungen dringend ändern.

"Obwohl wir eine der umfassendsten und leistungsstärksten Fördermöglichkeiten Europas haben, mangelt es an Formaten, die im Bereich klinischer Studien und auf den letzten Schritten zur Zulassung eine Zusammenarbeit von Staat, Wissenschaft und (internationalen) Unternehmen ermöglicht."

Um welche Rahmenbedingungen geht es hier genau?

Zum einen fehlt es uns nach wie vor an Finanzierungsmöglichkeiten für marktnahe Entwicklungen im Bereich der Medizin. Obwohl wir eine der umfassendsten und leistungsstärksten Fördermöglichkeiten Europas haben, mangelt es an Formaten, die im Bereich klinischer Studien und auf den letzten Schritten zur Zulassung eine Zusammenarbeit von Staat, Wissenschaft und (internationalen) Unternehmen ermöglicht.

Zudem fehlt es an Anreizen, dass internationale Unternehmen Deutschland nachher auch als Produktionsstandort in Betracht ziehen. Innovation und Produktion sollten nah beieinanderliegen, um gegenseitig und schneller voneinander zu profitieren.

Zum anderen sollten wir die Rahmenbedingen für die interdisziplinäre Zusammenarbeit weiter stärken. Hier gibt es bereits einige gute Ansätze wie die gemeinsame Proof-of-Concept Initiative von Fraunhofer, Helmholtz und der Hochschulmedizin. Auch die Initiative zur Etablierung interdisziplinärer Großforschungszentren, die im Rahmen des »Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen« (StStG) entstehen sollen, halte ich für einen geeigneten Schritt.

Gemeinsam mit der Universität Leipzig und verschiedenen anderen Partnern haben wir hier einen Vorschlag eingereicht, um mit den Kerntechnologien Künstliche Intelligenz, Big Data, Software-basierte Wirkstoffmodellierung sowie Zell- und Gentherapien einen neuen Ansatz für die Gesundheitsforschung zu etablieren.

Kooperatives Forschen der Zukunft – das geplante Center for Medicine Innovation

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Regionaler Zusammenschluss zur Erforschung der Medizin der Zukunft: Das Großforschungszentrum Center for Medicine Innovation (CMI) entwickelt und etabliert integrierte, digitale Wertschöpfungsketten für die personalisierte Medizin

Wie wirkt Immunonkologie? - dies sind einige Ansätze

(Anmerkung: der folgende Teil stammt nicht von Fraunhofer, sondern ist redaktioneller Inhalt von Land der Gesundheit)

Immun-Checkpoint-Inhibitoren

Immun-Checkpoint-Inhibitoren, auch unter dem Begriff monoklonale Antikörper (mAb) bekannt, sind Y-förmige Proteine, die vom Immunsystem produziert werden. Wenn sie sich an die Oberfläche einer bösartigen Zelle, beispielsweise einer Krebszelle, binden, dienen sie als eine Art Warnmarkierung, die dafür sorgt, dass auch andere Teile des Immunsystems diese Zelle angreifen. Monoklonale Antikörper sind nun verschiedene Varianten dieser Proteine, die in einem Labor entwickelt wurden und als Immuntherapie eingesetzt werden können. Sie sind häufig daraufhin entwickelt, dass sie an Rezeptoren auf der Oberfläche von Krebszellen binden.

Kleinmolekulare Modulatoren

Diese Medikamente modulieren die Immunantwort oder die Mikroumgebung des Tumors und helfen dem Immunsystem, Krebszellen besser anzugreifen.

Krebszellen nutzen verschiedene Möglichkeiten, um sich gegen Standardtherapien wie Chemotherapien oder einer Bestrahlung zu wehren. Beispielsweise, indem sie an einer Tumorstelle eine Entzündung auslösen. Während einer Entzündungsreaktion können Monozyten und Makrophagen - zwei Arten von weißen Blutkörperchen - eine Tumorstelle überfluten. Diese weißen Blutkörperchen helfen den Krebszellen, dem Angriff von T-Zellen standzuhalten und können sogar das Tumorwachstum fördern. Doch ForscherInnen haben herausgefunden, dass das Blockieren verschiedener Rezeptoren auf diesen weißen Blutkörperchen, wie z.B. CCR2 und CSF-R1, helfen kann, sie daran zu hindern, an Tumorstellen zu wandern. Durch die Blockade der Entzündungsreaktion können Behandlungen wie die Chemotherapie dann helfen, Krebszellen besser zu zerstören.

CAR (Chimärer Antigen-Rezeptor) T-Zell-Therapie

T-Zellen sind spezialisierte Immunzellen, die Zellen im Körper angreifen können, die von Bakterien, Viren und Krebs infiziert sind. In dieser Therapie werden T-Zellen von einem Patienten oder Spender entnommen und gentechnisch verändert, um chimäre Antigenrezeptoren (CAR) auf ihrer Oberfläche zu produzieren. Diese Rezeptoren ermöglichen es den T-Zellen, Proteine - also Antigene - zu erkennen, die spezifisch für die Krebszellen sind.

Die so veränderten Zellen werden dann wieder in den Patienten zurückinfundiert, so dass sie sich vermehren und die Krebszellen abtöten können. Es gibt zwei Ansätze für die CAR-T-Zelltherapie: Allogene Zellen werden von einem einzigen Spender entnommen und bei mehreren Patienten verwendet, während autologe Zellen mit patienteneigenen Zellen hergestellt werden.

Onkolytische Viren als Krebstherapie

Onkolytische Viren sind eine Art von Virus, die einen Doppelschlag gegen Tumore liefern - vorzugsweise Krebszellen abtöten und gleichzeitig eine Immunantwort gegen Krebs stimulieren.

Die krebsbekämpfenden Eigenschaften von Viren sind seit Anfang des 20. Jahrhunderts bekannt, aber erst in den 90er Jahren kam die onkolytische Virustherapie in Gang, als Wissenschaftler entdeckten, wie man das Herpesvirus genetisch so verändern kann, dass ein Patient nicht krank wird und sich auch innerhalb von Krebszellen vermehren kann, um sie zu zerstören.

Die U.S. Food and Drug Administration genehmigte im Oktober 2015 die erste onkolytische Virustherapie - ein gentechnisch hergestelltes Herpesvirus zur Behandlung von Melanomen - und Forscher erforschen die Verwendung anderer Virusarten gegen andere Krebsarten.

Krebsimpfstoffe

Krebsimpfstoffe stärken die Immunantwort des Körpers gegen Krebszellen. Sie wirken, indem sie T-Zellen aktivieren, um Tumore anzugreifen, oder indem sie die Produktion von Antikörpern stimulieren, die an Krebszellen binden. Es gibt zwei allgemeine Arten von Krebsimpfstoffen.

Prophylaktische Impfstoffe sollen die Entstehung von Krebs verhindern, indem sie auf mit Krebs verbundene Infektionserreger abzielen. Beispiele sind Impfstoffe gegen das humane Papillomavirus und der Hepatitis-B-Virus-Impfstoff.

Therapeutische Impfstoffe sollen Krebs behandeln, der sich bereits entwickelt hat, indem sie die natürliche Immunantwort des Körpers gegen den Krebs verstärken und so das Wachstum von Krebszellen verzögern oder stoppen.

Copyright Artikelfoto: Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie in Leipzig (IZI)

  1. Dr. Gabbert

    Frau Prof. Köhl leistet wirklich Pionierarbeit! Jeder sollte mal einen Vortrag von ihr gehört haben.

    vor 2 Jahren

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