Professor Hajo Zeeb ist Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS in Bremen.
Herr Zeeb, müssen wir mit weiteren Pandemien rechnen?
Durchaus. COVID-19 ist ja nicht die erste Pandemie seit 2000. Wir hatten SARS-1, MERS, Influenza-Pandemien, Ebola und noch mehr. Wir befinden uns in einem pandemischen Jahrhundert.
Was könnte zur nächsten Pandemie führen?
Es gibt vor allem virale Erkrankungen mit erheblichem pandemischem Potential – zuallererst die Influenza, die „echte Grippe“, mit ihren verschiedenen Varianten, die jederzeit pandemisch werden können. Auch haben wir es zunehmend mit Zoonosen zu tun. Dass Mensch und Tier vielerorts so eng aufeinander gerückt sind, potenziert die Gefahr.
Wie viele Viren haben das Potenzial, von Tieren auf Menschen überzuspringen?
Wilde Tiere tragen Schätzungen zufolge 1,7 Millionen unbekannte Virenarten in sich, von denen um die 800.000 für den Menschen gefährlich sind. Bis zu unserer Zeit waren diese Erreger meist abgekapselt, weil die Menschen nicht in der Nähe dieser Tiere waren oder wenn doch, dann waren die infizierten Menschen weit entfernt von anderen Menschengruppen.
Ein Ebola-Ausbruch in Afrika blieb deshalb ein lokales Event. Heute hocken Tier und Mensch vielerorts eng aufeinander und wir Menschen sind weltweit mobil. Je mehr dieser „Gelegenheiten“ da sind, desto höher die Gefahr einer Pandemie.
Kann man Pandemien vermeiden?
Je früher man eine heraufziehende Pandemie erkennt, umso besser. So lässt sie sich zumindest eindämmen. Wir brauchen deshalb eine gute Datenerfassung ungewöhnlicher Ereignisse und einen internationalen Datenaustausch.
Das können wir im europäischen Kontext gut aufziehen, und die WHO macht da große Anstrengungen. Aber: Um möglichst früh in dieser Kette eines potenziellen pandemischen Ereignisses zu warnen, müssen alle Länder mitmachen. Wenn manche das nicht können oder aus politischen Gründen nicht wollen, dann sieht es schlecht aus. Es muss allen klar sein, dass es uns alle betrifft und man gut daran tut, sehr früh zu agieren.
Was muss zu Beginn einer Pandemie bei uns getan werden?
Unser Gesundheitssystem muss dann schnell umschalten können. Das bedeutet, dass sowohl Strukturen für Prävention wie Impfung und Kommunikation als auch für Behandlung – etwa schnell verfügbare Einheiten für Isolation, klare und schnell aktivierbare Patientenflusskonzepte, Abstimmung mit Gesundheitsämtern – ohne langen Vorlauf anlaufen können.
Präventionsansätze wie die Lockdowns und Quarantäne, die wie bei Corona sehr mühsam umgesetzt haben und teils sehr drastisch, weil wir es auch nicht besser wussten, sind natürlich richtig. Aber wenn die Behörden und die Politik schnell und gut informiert sind, können sie gezielter vorgehen, vielleicht auch andere Kombinationen von Maßnahmen ergreifen.
Dazu braucht es beispielsweise Systeme, um rasch Studien zu machen: Es gilt beispielsweise schnell zu erkennen, wen eine Infektion besonders leicht trifft. Wir müssen ja die Ausbreitung überwachen. Da können wir nicht drei Jahre auf Erhebungen warten. Bei Corona haben wir das nur indirekt durch die Tests gemacht, die aber kein systematisches Bild ergeben haben. Was wir brauchen sind Studien, basierend auf einem System, das schon stehen muss und jederzeit gestartet werden kann. Wir müssen schon jetzt präventiv einen ganzen Kasten an Instrumenten aufbauen. Alles, was man vorher investiert, erspart einem nachher eine Menge Unbill.
Wo steht Deutschland in der „Pandemic Preparedness“ zurzeit, auf einer Skala von Null bis Zehn?
Corona hat das Ganze in die richtige Richtung befördert. Jetzt sind wir - würde ich sagen - in einer soliden Mitte angelangt.
Was hat Deutschland für die nächste Pandemie gelernt, wo müssen wir uns verbessern?
Zuallererst Impfungen. Bei Viruserkrankungen sind Impfungen ein extrem hilfreiches Mittel. Da hat Corona einen wahnsinnigen technologischen Push gegeben. Und auch organisatorisch – Stichwort: Impfkampagne – ist einiges passiert, auf das wir bei der nächsten Pandemie zählen können, sofern nötig.
Das zweite: digital gestützte Information und digital vermittelte Schutzmaßnahmen. Da sind wir nicht ganz so gut, was beispielsweise schnelle Frühwarnsysteme für die Bevölkerung betrifft, und auch für die Behörden untereinander, damit deren Abstimmung besser klappt. Ganz entscheidend ist es, dass die Daten der Gesundheitsämter viel besser koordiniert zusammengezogen und schnell verfügbar gemacht werden. Da wird derzeit erheblich nachgearbeitet.
Auch die Überwachung einer laufenden Pandemie ist ausbaufähig. Sie muss schneller werden. Bei der sogenannten genomischen Überwachung zum Beispiel, mit der man rasch die Verbreitung neuer Virus-Varianten erkennen kann, machen andere Länder wie etwa Großbritannien einen besseren Job.
Auch müssen wir in Deutschland die Laborkapazitäten erheblich ausweiten beziehungsweise die vorhandenen Labore wesentlich besser vernetzen. Schließlich ist auch noch die Aufmerksamkeit in der Bevölkerung eine wichtige Sache: Die Gesundheitskommunikation ist eine große Baustelle.
Warum ist die Gesundheitskommunikation in Pandemien so wichtig?
Es hilft in einer Pandemie nichts, wenn Experten zwar viel über Medizin und Gesundheit wissen, es aber nicht verständlich zu den Menschen transportiert bekommen. Die Schutzmaßnahmen müssen gut erklärt werden und im besten Fall gemeinschaftlich abgestimmt werden, damit die Bevölkerung ihr Verhalten im Sinne der Pandemiebekämpfung anpassen kann.
In der Corona-Pandemie wurde mit der Zeit viel zerredet und es gab es ein sehr heterogenes Bild von Einschätzungen. Auch die Spitzenpolitik hat nicht durch Einigkeit geglänzt.
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