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Wie lassen sich Risiken besser vorhersehen?

Wie lassen sich Risiken besser vorhersehen?

… und wie geht die Politik damit um? Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) berät Bundesregierung und Bundestag und ist Europas größter Thinktank im Feld internationaler Politik. Dr. Lars Brozus ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Amerika.

Dr. Lars Brozus, Senior Fellow in der Forschungsgruppe Amerika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik

Warum war man nicht gut gerüstet für die aktuelle Pandemie?

Es gab ja viele Warnungen vor Pandemien allgemein, zum Beispiel von Bill Gates weltweit und durch einen Bericht des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe für Deutschland im Jahr 2012. Aber Hinweise allein reichen nicht aus. Es gibt unglaublich viele Risikowarnungen durch zahlreiche Institutionen. Die Politik erhält lange Listen, aus ihnen gilt es zu gewichten. Entscheidern wäre geholfen, wenn ihnen eine Wahrscheinlichkeitsaussage mit auf den Weg gegeben wird, wann und wie eine Gefahr Wirklichkeit werden kann.

Wie wichtig ist der Blick auf Vergangenes?

Analogieschlüsse können helfen. Südkorea und Taiwan zum Beispiel waren für Covid-19 besser gewappnet, weil sie vor ein paar Jahren Erfahrungen mit SARS- und MERS-Epidemien machen mussten. Umgekehrt aber gab es in Deutschland Warnungen vor dramatischen Ausbrüchen von Schweinegrippe, die dann ausblieb. Da wird man infolgedessen skeptischer gegenüber Warnungen gewesen sein.

Hat sich die Anzahl an Risikolagen verändert?

Jedenfalls gab es in den letzten zehn Jahren eine erstaunliche Häufung böser Überraschungen für die Weltpolitik. Es wird nun in Methoden investiert, um besser vorauszuschauen. Im Kanzleramt wurde 2018 eine Abteilung eingerichtet, die sich unter anderem damit befasst, und im Auswärtigen Amt gibt es aufgewertete Früherkennung. Da stützt man sich jetzt mehr auf große Datenbanken, erstellt aber auch Szenarien. Und es muss priorisiert werden: Wofür soll Vorsorge getroffen werden? Bei der Begründung könnten Superforecaster eine Rolle spielen.

Wer ist das?

Leute, die besonders gut politische Ereignisse vorhersagen. Man findet sie durch Vorhersagewettbewerbe oder Prognosemärkte. Im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojekts wurden in den USA über 880.000 Vorhersagen ausgewertet, um die besten Teilnehmer zu identifizieren. Und einige wenige sind konsistent, über Jahre hinweg, besser in der Vorhersage – das sind zwei Prozent. Wenn man dann diese Superforecaster in Teams zusammenstellt und darauf achtet, dass diese besonders divers sind, zum Beispiel in Bezug auf Alter und Geschlecht, erzielen sie noch bessere Ergebnisse: eine um 30 Prozent höhere Vorhersagegenauigkeit als Teams mit Zugang zu nachrichtendienstlichem Material.

Wie könnten sie der Politik helfen?

Indem sie politischen Entscheidern dabei helfen, unter den vielen denkbaren Zukunftsrisiken die zu bestimmen, auf die besonders geachtet werden sollte.

Welcher Typus steckt hinter einem Superforecaster?

Sie denken sehr offen. Suchen aktiv nach Informationen, die ihre eigenen Einschätzungen widerlegen könnten. Machen sich ein möglichst breites Bild, sind also neugierig und gehen systematisch vor: Ihre Vorhersagen passen sie in kleinen Schritten an. Sie mögen Zahlen, sind eher nachdenkliche Personen, deren Eitelkeit und Ego nicht besonders stark ausgeprägt sind.

Irren die nie?

Doch. Den Brexit haben sie nicht vorhergesehen.

Braucht Deutschland eine staatliche Einheit aus Superforecastern?

Sie wären eine gute Ergänzung beispielsweise zu den Szenarien, über die im Moment für die Zeit nach der Pandemie nachgedacht wird. 

Und wie sähe ein guter Covid-Forecast in Deutschland in einem Jahr aus?

Ich wäre überrascht, wenn wir nicht sehen würden, dass in die Gesundheitspolitik mehr investiert wird, Stichwort: lernen aus negativen Erfahrungen. Mehr Interesse und Ressourcen für gesundheitspolitische Vorausschau wird es sicherlich geben.

Ist uns die Notwendigkeit einer systematischen Vorausschau klar?

Theoretisch ja. Nun gilt es, die bestehenden Kapazitäten besser miteinander zu vernetzen, besser zusammenarbeiten zu lassen und ihnen eine stärkere politische Wirksamkeit zu verleihen. Und wir sollten uns mehr mit wirklich unerwarteten Ereignissen befassen. Damit meine ich nicht Meteoriteneinschläge, sondern die gezielte Suche nach dem, was politisch unwahrscheinlich erscheint. Wir brauchen also einen Methodenmix aus Szenarien, aus konkreten Ereignisvorhersagen der Superforecaster und aus „Red Teaming“ – eine Methode, die bewusst gegen den Strich bürstet.

Wie wichtig ist dabei Kommunikation?

Die kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Zwischen diesen Teams muss es eine lebhafte interne Kommunikation geben, dann eine zu den Regierungsstellen, und schließlich muss sowas ja der Bevölkerung vermittelt werden. Das funktioniert nur kooperativ und kollektiv.

Copyright Artikelfoto: ig3l / photocase.de

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