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„Wir bleiben hinter unseren Möglichkeiten.“ Prof. Dr. med. Carsten Tschöpe

Die Spitzenmedizin „produziert" jährlich 300.000 Patienten mit Herzschwäche in Deutschland. Wir retten heute zwar einen Großteil der Menschen, die einen Herzinfarkt erleiden. Aber wenn sich die Versorgungsstrukturen nicht ändern, wird der große Fortschritt zum Problem für das System.

Wenn das Versorgungssystem mit dem Fortschritt nicht Schritt hält, kann medizinischer Erfolg auch Nachteile haben. Die Kardiologie ist dafür das beste Beispiel: Weil unsere Fähigkeiten und therapeutischen Möglichkeiten immer besser werden, überleben die meisten Menschen heute einen Herzinfarkt. Doch das heißt auch: Wir produzieren Herzinsuffizienz-Patienten. Denn das Gewebe, das bei einem Herzinfarkt zerstört wurde, lässt sich nicht wiederherstellen. Das Herz hat nur noch eine eingeschränkte Leistung, es ist geschwächt. 300.000 Patienten jährlich erhalten in Deutschland die Diagnose Herzschwäche. Und mit zunehmendem Durchschnittsalter werden es immer mehr Menschen. 60 Prozent dieser Patienten werden ins Krankenhaus eingeliefert. In Krankenhäusern wiederum entstehen 70 Prozent der Kosten des Gesundheitswesens. Das werden wir uns auf Dauer nicht leisten können.

Was ist also zu tun? Vor allem sind es zwei Dinge: Patienten brauchen mehr Wissen über Herzschwäche, und wir brauchen neue Versorgungsstrukturen.

Wer mit 55 noch keinen Herzinfarkt hatte, ist kein richtiger Mann

Nur drei von 100 Patienten kennen heute die Symptome ihrer Herzinsuffizienz. Ab einem gewissen Alter gilt oftmals leider: Wer mit 55 noch keinen Herzinfarkt hatte, ist kein richtiger Mann. Dass er eine Erkrankung hat, die so schwerwiegend ist wie Lungenkrebs, und er eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit hat, nach fünf Jahren nicht mehr zu leben, versteht er nicht. Viele setzen ihre Medikamente eigenständig ab, weil sie das Gefühl haben, ihnen fehlt nichts. Viele Betroffene oder ihre Angehörigen rauchen nach einem Herzinfarkt weiter. Dabei sind die Teile des Herzens, die durch den Herzinfarkt zerstört wurden, verloren. Wir können die abnehmende Leistung des Herzens in der Folge eines Infarkts zwar verlangsamen – aber aufhalten oder gar heilen können wir nicht. Das heißt: Wir brauchen mehr Krankheitsbewusstsein und müssen den Menschen mehr Wissen an die Hand geben.

Die Versorgung der Zukunft: Weg vom Allesmacher hin zu mehr Kooperation

Gleichzeitig muss sich die Versorgungsstruktur ändern. Die Idee, dass ein Patient zu einem Arzt kommt, der ihm eine Tablette verschreibt, der Patient wiederkommt – das ist zumindest bei schweren Erkrankungen nicht sinnvoll. Nötig ist stattdessen mehr Subspezialisierung – auch im Krankenhaus. Wenn ein Patient mit Herzinsuffizienz bei einem Chirurgen landet, hat er eine wesentlich höhere Sterbewahrscheinlichkeit, als wenn er bei einem Internisten landet. Das hört sich polemisch an, ist aber Tatsache. Mehr als die Hälfte der Patienten mit Herzinsuffizienz hat sieben Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Schlaganfall und psychische Erkrankungen. Das heißt: Zur Behandlung ist dringend ein interdisziplinäres Team nötig, das zusammenarbeitet – und jetzt kommt der springende Punkt: Sie müssen über die Sektoren hinaus zusammenarbeiten. Der niedergelassene Internist mit dem Psychologen und dieser mit dem Kardiologen in der Klinik.

Patienten werden dann – wie wir dies im Rahmen unseres Herzschwäche-Netzwerks bereits tun – über integrierte Versorgungsmodelle therapiert. Dabei ist der einzelne Arzt nicht mehr der Alleinentscheider und schon gar nicht der Allesmacher. Ein Case-Manager lotst den Patienten durch die Therapie. Und eine Herz-Nurse steht im ständigen Kontakt mit kritischen Patienten – das geht hervorragend über neue digitale Möglichkeiten. Die Herzschwester kommt zum Patienten ins Haus, daneben wird er durch seinen zertifizierten Hausarzt betreut, und einmal im Monat kommt er in die Ambulanz der spezialisierten Klinik. So ist gewährleistet, dass der Patient immer in guten Händen ist, dass sein Zustand regelmäßig kontrolliert wird und Klinikeinweisungen vermieden werden.

Doch genau diese Modelle werden heute noch nicht von den Krankenkassen finanziert, obwohl die Menschen besser versorgt wären und dies mittelfristig Kosten vermeidet, weil weniger Menschen im Krankenhaus landen. Obwohl dies allen klar ist, werden die Kosten für die Investitionen in diese neuen Modelle gescheut. Deshalb: Wir könnten schon viel mehr, aber das System ist noch zu langsam.

 

 

Prof. Dr. med. Carsten Tschöpe, Stellvertretender Klinikdirektor der Kardiologischen Klinik der Charité – Universitätsmedizin Berlin
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  1. Anonym

    Ich stimme dem voll und ganz zu.
    Mein ganzheitlich orientierter Arzt hat mich auf die Möglichkeiten, die hier erwähnt werden, hingewiesen.
    Nur eben nicht in diesem umfassenden Netzwerk, weil hier wie o.e. in Deutschland immer noch althergebracht behandelt wird und die Krankenkassen als starre Konstrukte völlig unflexiebel sind.
    Ich (68) habe zwei Stents und mein Arzt hat mich auf die Ernähungsumstellung von Caldwell B. Esselstyn und Dean Ornisch hinbgewiesen mit der Bemerkung, dass es hier in Deutschland keine Begleitung und kaum Kenntnisse über diese herzgesundheits-erhaltende Ernährung mit dem begleidenden Programm gibt.
    Das heißt, vergane Ernähung und jeglicher Verzicht auf Fette und Öle, selbst Olivenöl usw...
    Dazu psycho-soziale Hilfe wie Gesprächskreise, Achtsamkeitsübungen, Meditation und entsprechende Bewegung.
    Ich mache das alleine ohne Begleitung, ändere meine Rezepte (ich bin eine Genießerin, die vorher üppig mit Olivenöl usw. gekocht hat, jetzt zu 98 % ohne Fett )
    Das ist nicht einfach, aber es geht und macht mir inzwischen soviel Freude, dass ich einen Blog plane, in dem ich die für mich in jeder Hinsicht sehr erfolgreiche Umstellung vorstelle.
    Sicher wäre Hilfe manchmal sinnvoll, denn auch ich habe Fragen, aber so muss ich mir alles aus dem Internet zusammensuchen. Ich danke meinem Arzt, der mich hier sachkundig und interessiert begleitet...meine inzwischen guten Werte sprechen für sich.

    Mit freundlichen Grüßen
    Petra Stöhr

    vor 6 Jahren
  2. Anonym

    Eigentlich sollte der Patient selbst seine Gesundheit in die Hand nehmen. Aber die meisten Menschen lassen lieber machen. Bücher lesen und Filme anschauen die auf eine pflanzenbasierte Ernährung hinweisen in denen Menschen geheilt wurden machen leider nicht die Runde. Natürlich ist der Arzt als Coach sinnvoll, aber seien wir doch ehrlich, das System braucht Kranke. Allein das Wort Gesundheitskasse ist ein Lacher. Dennoch danke für ihren Beitrag.
    Gruß aus Dinslaken

    vor 6 Jahren
  3. Dr. Cornelia Hegele-Raih

    Das Einzige was den Ärzten einfällt zur Vorbeugung ist "Rauchen aufhören". Doch neben gesunder Ernährung, Bewegung und Nichtrauchen ist einer der wichtigsten Faktoren: eine ausreichende Vitalstoffversorung, insbesondere Magnesium, Kalium, Omega. Es gibt genügend Studien zu diesen Zusammenhängen die den Medizinern eigentlich bekannt sein müssten. Wir da mal auf irgendwelche Werte geschaut? Nein, natürlich nicht. Sieht so aus als wollte man die Gesundheitsindustrie doch nicht arbeitslos machen wollen

    vor 6 Jahren
  4. Anonym

    Schon kleine vom Herzen ausgehende Störungen wie zum Beispiel Bluthochdruck können einem zur Nacht viel Angst machen. Wie viel mehr mag das zutreffen bei dauernder Herzschwäche ? Da wäre es schon gut,zu wissen, wo man sich hinwenden kann,wenn man als Patient akut nicht weiter weiss.
    Case Management scheint mir da ein sinnvolles Angebot zu sein.
    Gruss .......eine Potsdamerin

    vor 6 Jahren

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