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„Nach ihrem Abklingen war jede Pandemie schnell wieder vergessen“

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Pandemien gab es zu allen Zeiten. Ein Gespräch mit dem Arzt und Medizinhistoriker Prof. Dr. Heiner Fangerau über das Lernen aus gesundheitlichen Krisensituationen allgemein und Lehren für den Umgang mit der Krankheit Covid-19. 

 

Wir teilen das Interview mit freundlicher Genehmigung von Pharmafakten in Auszügen. 

Herr Prof. Fangerau, was können wir aus früheren Seuchen und Pandemien über den Umgang mit Covid-19 lernen?

Man muss gut vorbereitet sein. Es gibt Möglichkeiten, sich auf eine Pandemie vorzubereiten und dagegen vorzugehen.

Welche sind das?

Zum Beispiel jene, die die WHO in ihren Pandemieplänen niedergelegt hat: frühzeitiges Erkennen von infizierten Personen, frühzeitige medizinische Versorgung dieser Personen und Maßnahmen, die eine Ausbreitung eindämmen. Wir wissen zum Beispiel aus der Geschichte der Epidemien, dass Hygienemaßnahmen sehr viel bewirken können. Nehmen wir die Cholera: Da hat man im 19. Jahrhundert sehr erfolgreich damit begonnen, die Städte zu sanieren und eine Kanalisation aufzubauen.

In Deutschland dürften neue Abwasserkanäle kaum gegen Covid-19 helfen, aber es gibt auch arme Regionen ohne ausreichende Trinkwasser-Versorgung.

Richtig, und dort ist die Gefahr einer unkontrollierten Ausbreitung besonders hoch. Wenn man sich die Erklärungstheorien zu aktuellen Viruserkrankungen ansieht, dann zeigt sich außerdem, dass sie vom Tier auf den Menschen übergesprungen sind oder durch Veränderungen der Umwelt begünstigt wurden – wir sollten also auch zum Beispiel Marktsituationen hygienisch gestalten und versuchen, Eingriffe in die Natur auf ein erträgliches Maß zu beschränken.

Gibt es Beispiele, die zeigen, dass eine Pandemie zum medizinischen Fortschritt beigetragen hat?

Wenn dazu auch Ordnen, Erklären und Handeln gehören, dann hat sich die Medizin seit der Antike bemüht, Erklärungsmodelle für das Entstehen und die Bekämpfung von Infektionskrankheiten zu entwickeln. Die Bakteriologie entstand Ende des 19. Jahrhunderts in der Folge von und als Antwort auf Pandemien und hat ein bis heute gültiges Erklärungssystem gefunden, das auch Therapien hervorgebracht hat – zum Beispiel die Behandlung mit Antibiotika. Auch die Entwicklung von Impfstoffen gegen Viren war eine Antwort auf die pandemische Ausbreitung solcher Viren.

Ein früher Kämpfer gegen Pandemien war der Seuchen- und Hygieneexperte Emil von Behring, der 1901 den ersten Nobelpreis für Medizin erhielt – zuvor hatte er Heilmittel gegen Diphtherie und Tetanus gefunden, die damals seuchenartig grassierten. Was war das Geheimnis seines Erfolges, aus dem heutige Mediziner lernen könnten?

 Behring war ein Schüler von Robert Koch, der in Deutschland zu den ersten Vertretern der Bakteriologie gehörte – Koch hatte durch mikroskopische Untersuchungen herausgefunden, dass Bakterien Infektionskrankheiten erzeugen können, etwa Cholera. Das befeuerte eine ganze Forschungsrichtung, nämlich die Immunologie. Koch und seine Schüler, wie Behring oder Paul Ehrlich, wollten nicht nur erklären, wo eine Erkrankung herkommt, sondern sie dachten auch darüber nach, wie man sie behandeln kann. Koch war am Ende nicht amüsiert darüber, dass mit Behring einer seiner Schüler vor ihm den Nobelpreis bekommen hat. Das Geheimnis von Behrings Erfolg? Harte Arbeit. Permanente Versuchsreihen. Immer wieder neue Versuche – ein langer Atem ist sicher ein Teil des Erfolges.

Bei Covid-19 drängt aber die Zeit.

Ja, aber man hat andere Ressourcen. Während Behring anfangs mit einem aus heutiger Sicht kleinen Team gearbeitet hat, besteht heute die Möglichkeit, weltweit vernetzt mit großen Forscherteams zu arbeiten. Wissenschaftlicher Austausch erfolgte vor 100 Jahren über Papier und Zeitschriften. Das hat gedauert, bis so etwas gedruckt war. Bis man in Amerika eine deutsche Arbeit bekommen und gelesen hat, vergingen Tage oder Wochen. Da sind wir heute in einer ganz anderen Situation. Trotzdem bleibt es harte Arbeit. Es kann keiner versprechen, dass er morgen was gefunden hat.

Wie wichtig waren Impfstoffe bei der Bekämpfung früherer Pandemien?

Pocken wurden durch die Impfung komplett eliminiert, bei der Kinderlähmung ist man auf einem guten Weg, die Masern könnten durch konsequentes Impfen ebenfalls weiter zurückgehen. Impfstoffe sind ganz zentral im Kampf gegen Pandemien.

Gibt es in der Medizingeschichte Pandemien, die sich mit Covid-19 vergleichen lassen?

 Ein Vergleich, der im Moment häufig gezogen wird, ist der mit der Spanischen Grippe von 1918/19. Auch damals wusste man nichts über die Erkrankung, die Geschwindigkeit der Ausbreitung war ebenfalls sehr hoch. Aber damals befand sich Europa im Kriegszustand, und schon hinkt der Vergleich. Am ehesten vergleichbar ist Covid-19 mit dem SARS-Ausbruch von 2009, weil es sich um ein ähnliches Virus handelt.

Welche Maßnahmen beim Umgang mit Covid-19 wären besonders sinnvoll, wenn man sie aus einem medizinhistorischen Blickwinkel betrachtet?

Wenn man nichts anderes hat, ist es auf jeden Fall sinnvoll, Kontakte einzuschränken – wobei Schutzrechte gegen individuelle Freiheitsrechte abzuwägen sind. Einen mustergültigen Weg gibt es da nicht. Denn egal, was man tut, es ist ein Handeln in Unsicherheit. Ärzte müssen in Unsicherheit handeln, Politiker ebenso. 

Welches ist die wichtigste Lehre, die wir aus aus der Corona-Pandemie ziehen sollten?

 Man muss, wenn die Pandemie vorbei ist, alle getroffenen Maßnahmen und ihre Effekte analysieren. Pandemiepläne, die ja schon existieren, müssen überarbeitet werden und wir müssen danach handeln. Wir müssen Ressourcen vorhalten, die vielleicht Kosten verursachen und immer im Verdacht stehen, gar nicht gebraucht zu werden – die aber im Pandemiefall Leben retten und ungeheure Kosten sparen. Kurzum: Wir sollten Schlussfolgerungen ziehen, was wir künftig besser machen können und das auch umsetzen. Das klingt einfach und banal. Aber wenn man die Geschichte betrachtet, dann zeigt sich: Nach ihrem Abklingen war jede Pandemie schnell wieder vergessen und die Pandemiepläne verschwanden in den Schubladen. Das ist 1958 nach der Asiatischen Grippe passiert, das ist 1968 nach der Hongkong-Grippe passiert, das ist nach SARS 2009 passiert – bei Covid-19 darf es nicht wieder passieren.

 

 

Lesen Sie hier das ganze Interview

 

Foto: Eliza/photocase

Prof. Dr. Heiner Fangerau ist Direktor des Institutes für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf – und Mitglied der Wissenschaftsakademie Leopoldina.

  1. Anonym

    Unkritische, langweilig angepasste Meinung, wiederholt einfach alles, was schon hundertfach gesagt wurde.

    vor 3 Jahren
  2. Andreas aus Wolfenbüttel

    Ich habe eine ganz andere Denkweise.
    Wenn man die Natur als das größte regelde akzeptiert. Als die Macht über alles. Sie wir Menschen dann für sie eine Fehlkonstruktion? Muss sie uns vom Planeten entfernen weil wir ihn in atemberaubender Geschwindigkeit zerstören? Legt man dann die Zeitschiene der Natur zu Grunde, existieren wir nich mal einen Wimpernschlag lang im Universum. Und nach dem ersten Leben auf der Erde auch nur Minuten auf dieser Zeitschiene. Die Dinosaurier und mit ihnen fast alle Lebewesen, strarben in kürzester Zeit. Vielleicht soll diesmal nur die störende Lebensform auf dem Planeten Erde weg.
    Die Natur hat Zeit..... Und besteht ewig.

    vor 3 Jahren

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