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Digitale Gesundheitskompetenz fördern – Empfehlungen des Netzwerks „30 unter 40“

Digitale Gesundheitskompetenz fördern – Empfehlungen des Netzwerks „30 unter 40“

Der Erfolg des digitalen Wandels im Gesundheitswesen steht und fällt damit, wie weit Patienten, Versicherte und Leistungserbringer digitale Lösungen akzeptieren. Dafür wiederum braucht es die Fähigkeit, mit digitalen Anwendungen kompetent umzugehen – eine Fähigkeit, die trotz fortschreitender Digitalisierung des Alltags bei weitem nicht selbstverständlich ist. Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) hat der Gesetzgeber gesetzlichen Krankenkassen die Rolle gegeben, die digitale Gesundheitskompetenz von Versicherten zu fördern. Doch wie kann dies gelingen? Welche Ansätze und Maßnahmen sind erfolgversprechend? Das Expertennetzwerk „30 unter 40“ der Bertelsmann Stiftung hat dazu im Oktober 2020 Handlungsempfehlungen erarbeitet, die wir hier mit freundlicher Genehmigung teilen. Der Ursprungstext sowie weitere Beiträge sind auf der Seite https://blog.der-digitale-patient.de/ zu finden.

Herausforderungen

Die digitale Gesundheitskompetenz zu fördern ist nach Ansicht der Experten aus dem Netzwerk keine leichte Aufgabe.

Eine zentrale Herausforderung liegt bei den „Sendern“: Viele gesetzliche Krankenkassen stehen derzeit selbst noch am Anfang des Prozesses der digitalen Transformation. Daher stellt sich die Frage, ob sie als Akteure schon kompetent genug sind, um entsprechende Kompetenzen wiederum zu fördern. Darüber hinaus ist diese neue Aufgabe der Krankenkassen als Satzungsleistung vorgesehen. Denkbar ist also, dass sich vor allem jene Kassen engagieren, die bereits „digital positioniert“ sind. Und: Insbesondere bei kleineren Kassen dürften die Ressourcen knapp sein, um diese Aufgabe angemessen auszufüllen. Die Kompetenz würde also nicht nach Bedarfslage der Empfänger gefördert, sondern nach den Möglichkeiten des jeweiligen Senders.

Die andere Herausforderung liegt aufseiten der Empfänger selbst: Die Zielgruppe „Versicherte“ ist – was ihre Kompetenzen und ihre Affinität zu digitalen Lösungen angeht – zu divers, um sie mit breiten Standardmaßnahmen anzusprechen. Zudem ist unklar, wie groß überhaupt das Bedürfnis der Versicherten ist, sich von ihrer Krankenkasse digitale Kompetenz vermitteln zu lassen.

 

 

Handlungsempfehlungen

 

Folgende Ansätze könnten nach Ansicht der Expertinnen und Experten dazu beitragen, digitale Gesundheitskompetenz zu fördern.

1. Krankenkassen müssen digital gesundheitskompetente Organisationen werden.

Damit Krankenkassen ihre neue gesetzliche Aufgabe gut ausfüllen können, müssen sie (zunächst) selbst digital kompetent werden. Dieser Prozess der Transformation sollte in der Organisation systematisch und strukturiert angegangen werden. Er kann über Elemente wie Digital-Thinktanks innerhalb der Organisation oder ein zentrales Management digitaler Produkte gesteuert werden. Entscheidend ist, dass die Transformation in das komplette Unternehmen ausstrahlt – vor allem auch zu denjenigen, die im direkten Kontakt mit den Versicherten stehen und diese beraten. Das Thema „Digitalisierung“ sollte zentraler Bestandteil in der Aus- und Weiterbildung sein. Zudem könnten in einzelnen Abteilungen neue, spezifische Rollen – „Digitalbotschafter“ – geschaffen werden. Und bei der Besetzung neuer Stellen könnte man entsprechende Kompetenzen zur Voraussetzung machen. Nicht zuletzt gilt es, von den Erfahrungen anderer zu lernen: Einige Krankenkassen sind bereits weit fortgeschritten auf dem Weg zur digital gesundheitskompetenten Organisation. Sie sollten als Vorbild herangezogen werden.

2. Die Förderung digitaler Gesundheitskompetenz sollte konzeptionell breit gedacht werden – mit Blick auf Multiplikatoren wie Ärzte und auf Vermittlungskanäle wie die Elektronische Patientenakte.

Kompetenzvermittlung funktioniert vor allem über den persönlichen Kontakt – und über Vertrauenspersonen. Daher sollten die Informationen zum Aufbau digitaler Gesundheitskompetenz nicht allein über die Kontaktpunkte der Krankenkassen vermittelt werden, sondern über Mittelspersonen wie professionell Pflegende, Ärztinnen und Ärzte, Apothekerinnen und Apotheker, Arbeitgeber im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements oder über Selbsthilfeorganisationen. Auch sollte dabei an bestehende Kanäle gedacht werden, auf denen die Vermittlung kontextsensitiv stattfindet, also bei der Nutzung digitaler Angebote – wie der elektronischen Patientenakte oder von Online-Geschäftsstellen der Krankenkassen.

3. Die Kommunikationsprodukte zur Kompetenzförderung sollten zentral vorbereitet und dezentral verbreitet werden. Die Produktion sollte möglichst kein Wettbewerbsthema zwischen Krankenkassen sein.

Es erscheint wenig sinnvoll und eher ineffizient, dass jede Krankenkasse ihre eigenen Kommunikationsprodukte produziert, um die digitale Gesundheitskompetenz ihrer Versicherten zu fördern. Denkbar wäre, Kommunikationsansätze und -produkte – also Konzepte, Texte, digitale Anwendungen oder Filme – zentral vorzubereiten. Hierfür könnte eine Art Agentur eingesetzt werden, idealerweise verankert in einer schon bestehenden Institution wie dem Nationalen Gesundheitsportal. Die Verbreitung der Produkte wäre dann Aufgabe der Krankenkassen – über ihre jeweiligen Kontaktpunkte zu den Versicherten.

4. Bei der Erstellung der Kommunikationsprodukte sollten neue, kreative Wege beschritten werden. Dabei gilt es, zunächst grundsätzlich die Akzeptanz digitaler Lösungen zu fördern und Mehrwerte plakativ darzustellen.

Um Kompetenzen zu vermitteln, braucht es – über die bloße Sachinformation hinaus – kreative und zielgruppenspezifische Ansätze. Bei deren Konzeption und Umsetzung sollten – wie es das Gesetz für die Vorgaben durch den GKV-Spitzenverband vorsieht – die Erfahrungen verschiedener Disziplinen einbezogen werden. Um die Bereitschaft bei Versicherten zu fördern, sich mit digitalen Anwendungen überhaupt auseinanderzusetzen, müssen zunächst deren potenzielle Mehrwerte dargestellt werden. Hier könnte ein Storytelling über gute Beispiele mit aktuellem Bezug interessant sein, etwa der Einsatz von Videosprechstunden in der Corona-Krise. Zudem sollte deutlich werden, wie digitale Anwendungen im regulierten Teil des Gesundheitssystems sich in punkto Qualität und Sicherheit von denen abheben, die auf dem Selbstzahlmarkt angeboten werden. Eine konkrete Möglichkeit wäre die Etablierung eines Dashboards mit positiven Effekten digitaler Lösungen: Versicherte könnten dort angeben, welche Effekte sie persönlich als nutzenstiftend erachten. Zugeschlüsselt würden dann Informationen zu konkreten digitalen Anwendungen, durch die diese Effekte erreicht werden.

5. Kompetenz und Akzeptanz entstehen in erster Linie durch Nutzung und positive Nutzenerfahrung. Das Angebot digitaler Lösungen durch Krankenkassen sollte basaler Bestandteil der Strategie zur Förderung digitaler Gesundheitskompetenz sein.

Die Förderung digitaler Gesundheitskompetenz lässt sich nicht losgelöst von digitalen Angeboten der Krankenkassen denken. Denn ein Angebot wird akzeptiert, sobald sich sein Nutzen wahrnehmen lässt, und durch die regelmäßige Nutzung entsteht Kompetenz. Anders formuliert: Je nutzenstiftender und nutzerfreundlicher das digitale Angebot von Krankenkassen ist, desto leichter fällt es, die digitale Gesundheitskompetenz der Versicherten zu fördern – quasi en passant.

Die Empfehlungen in dieser Blogreihe wurden mit einzelnen Expertinnen und Experten aus dem Netzwerk „30 unter 40“ zusammen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bertelsmann Stiftung sowie des health innovation hub erarbeitet. Sie sollen der weiteren Diskussion über die jeweiligen Themen Impulse geben. Inhaltlich entsprechen die Handlungsempfehlungen nicht zwangsläufig der Meinung aller einzelnen Netzwerk-Experten, der Stiftung oder des hih.

 

Vektorgrafik Header: Shutterstock

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