Lesezeit: 4 min.

„Krebs hat ein falsches Image“

Jeder Zweite erkrankt im Laufe seines Lebens an Krebs und dennoch ist die Erkrankung noch immer tabuisiert – Menschen im Umfeld von Betroffenen wissen oft nicht, wie sie reagieren sollen. Yeswecan!cer ist binnen weniger Jahre zur größten digitalen Selbsthilfegruppe für Krebspatient:innen geworden und verschafft sich immer mehr Gehör. Ein Gespräch mit Geschäftsführerin Simone Adelsbach.

Krebs Image

Auf welche Herausforderungen stoßen Krebspatient:innen in Deutschland?

Krebs hat ein falsches Image, die meisten Menschen verbinden es mit drohendem Tod. Dabei kann Krebs heute in vielen Fällen vergleichsweise gut behandelt werden, man spricht häufig schon von einer chronischen Erkrankung. In Anbetracht dessen, dass jede:r zweite Deutsche daran erkranken wird, ist die Krankheit in unserer Gesellschaft seltsam tabuisiert. Wir machen uns für einen angst- und tabufreien Umgang mit der Erkrankung stark.

 

Wo überall herrschen Angst und Tabus?

In der Familie, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz. Hier braucht es viel mehr Begleitung und Schulung, zum Beispiel für Führungskräfte, in deren Teams Menschen mit Krebs arbeiten. Zunächst aber brauchen Betroffene selbst den klaren Hinweis, dass sie mit ihrer Erkrankung nicht allein sind.

Yeswecan!cer ist eine App für Betroffene – wie kamen Sie drauf?

Mein Mann suchte nach seiner Krebsbehandlung in der Klinik den Austausch mit anderen Betroffenen. Klassische Selbsthilfegruppen im Sinn von sechswöchigen Stuhlkreisen waren nicht sein Ding. So kam es zur Idee einer App, einer Art Tinder für Krebspatient:innen, die Betroffene unkompliziert und direkt miteinander ins Gespräch bringt, wann immer sie es brauchen. Es war, als hätte die Welt drauf gewartet. Die App füllte sich schnell.

Krankenhausessen vs. gesundes Essen

Krankenhausessen vs. gesundes Essen

Sie vernetzen nicht nur Betroffene, sondern leisten auch mit Unterstützung zahlreicher Prominenter politische Arbeit. Was liegt Krebspatient:innen noch auf der Seele?

Ein ganz großer Punkt ist beispielsweise das Krankenhausessen: Sie haben als Krebspatient:in sowieso schon keinen Appetit und dann serviert man Ihnen eine Graubrotstulle mit Schmierwurst ... Wir wissen doch, wie wichtig und wirkungsvoll gesunde Ernährung ist. Das gilt übrigens auch fürs gesamte Krankenhauspersonal. Als in Bad Belzig 2021 ein Spitzenkoch die Krankenhauskantine übernommen hat, waren Patient:innen wie Belegschaft begeistert.

Sie haben eine Petition gestartet unter dem Titel „Digitalisierung tötet …“

… Digitalisierung tötet deinen Krebs, genau. Das ist ein ganz großes Anliegen von Patient:innen und Behandler:innen: Dass wir endlich die datenbasierte Krebsmedizin ermöglichen. Im Moment blockieren wir im Namen des Datenschutzes sowohl die Forschung wie die individuelle Vorsorge und Heilung. Mediziner:innen wie Patient:innen kopieren Befunde und tragen sie durch die Gegend.

 

Die Daten werden nicht geteilt. Dabei können Informationen aus der Gesundheitsversorgung eines Menschen lebensrettende Informationen für andere Menschen enthalten. Dass wir diese Datensolidarität nicht leben, ist ein deutscher Sonderweg. Manche Mediziner:innen sprechen gar von unterlassener Hilfeleistung.

Datensolidarität

Gemeinsam gegen Krebs

Wie kommen wir zu einer besseren Gesundheitsdatennutzung in Deutschland?

Wir brauchen einen ganz selbstverständlichen Umgang mit der elektronischen Patientenakte (ePA). Im Moment muss jeder einzelne Zugriff auf diese digitale Akte von den Patient:innen erlaubt werden. Die Folge: In Deutschland nutzen gerade mal 0,75 Prozent der Versicherten die ePA. In Österreich sind es 97 Prozent.

 

Warum? Weil man diese Akte flächendeckend eingeführt hat und die Möglichkeit gegeben hat, ihrer Nutzung aktiv zu widersprechen. Ein solches „Opt-out“ haben gerade mal drei Prozent der österreichischen Bevölkerung gemacht. Wir fordern also in unserer Petition, dass die ePA jetzt für alle Versicherten ohne vorherigen Antrag eingerichtet, befüllt und genutzt wird und man ein solches Opt-out-Verfahren ermöglicht.

Warum ist Deutschland so zurückhaltend, wenn es ums Teilen von Daten zum Wohle aller geht?

Vielleicht weil es dazu Tugenden braucht, mit denen wir nicht gerade gesegnet sind. Den Mut zu scheitern. Den Mut, einfach mal zu machen und nicht alles zigmal durchzudenken. So hat es unser Beirat Professor Dr. Jochen Werner einmal erklärt. Unsere Verfassung gewichtet an erster Stelle Leben und Gesundheit. Das Leben und die Gesundheit schwerkranker Patient:innen finden dabei noch zu wenig Berücksichtigung. Wir müssen die verantwortungsvolle Nutzung von Daten nicht nur ermöglichen, sondern auch aktiv fördern.

Simone Adelsbach ist Geschäftsführerin von Yeswecan!cer

Zum Hintergrund - die "story behind"

Im Oktober 2016 erhielt der Medienunternehmer Jörg A. Hoppe die Diagnose Krebs. Um sich vor seiner ersten Chemotherapie Mut zu machen, ließ er ein T-Shirt mit dem Slogan: „Yes we can!cer“ drucken. Zahlreiche Ärzt:innen und Pflegende sprachen ihn darauf an, er ließ weitere Shirts drucken und verschenkte sie. Nach einer erfolgreichen Stammzelltransplantation im Februar 2017 gründete er im Folgejahr yeswecan!cer.

Bis zu seiner Erkrankung arbeitete Hoppe erfolgreich als Musikmanager und TV- und Kinoproduzent. Er ist Platin-, Grimme-, Fernseh-, Berlinale- und Echo-Preisträger.

 

Wollen Sie namentlich in der Diskussion genannt werden?

Abonnieren Sie unseren Newsletter!