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Wenn das Medikament zum Mikrobiom passt. Oder das Mikrobiom zum Medikament.

Warum wirken Medikamente bei Menschen unterschiedlich? Lange dachte die Forschung, das habe mit den Abbauprozessen in der Leber zu tun, sprich: mit den Genen, die dort dafür zuständig sind. Allerdings gehen 99 Prozent der Gene im menschlichen Körper gar nicht auf den Menschen, sondern auf die Bakterien in seinem Mikrobiom zurück. Sollten am Ende etwa die Darmbakterien darüber entscheiden, wie ein Medikament wirkt? Ein Blick ins Forschungs­labor von Dr. Michael Zimmermann, Biochemiker am Europäischen Laboratorium für Molekular­biologie in Heidelberg (EMBL).

Mikrobiom

Herr Zimmermann, mal vorneweg gefragt: Was ist eigentlich ein gutes Mikrobiom im Darm und was ein schlechtes?

DAS gesunde Standardmikrobiom hat die For­schung noch nicht gefunden. Obwohl wir Men­schen uns untereinander genetisch nur weniger als ein Prozent unterscheiden, liegt der Unter­ schied beim Mikrobiom von Person zu Person bei bis zu 80 Prozent. Viele Mikrobiom-Forschende gehen aber davon aus, dass ein diverses Mikro­biom mit vielen Bakterienarten und ­-stämmen ein gutes Mikrobiom ist. Denn es füllt alle Nischen im Darm aus, die beispielsweise Krankheits­erreger besetzen könnten. Dann haben Erreger einfach zu viele Gegenspieler, und das diverse Mikrobiom schnappt ihnen alle Nahrungs­möglichkeiten weg.

Was tun diese Mikroorganismen, wenn wir Medikamente nehmen?

Das ist ein interessanter Punkt, denn unser Mikrobiom hat ja erst seit etwa 100 Jahren mit der Verstoffwechselung von Medikamenten zu tun. Eine Studie von Kolleg:innen am EMBL mit 1.200 gängigen Arzneimitteln hat gezeigt, dass etwa ein Viertel von 40 repräsentativ ausgewähl­ten Darmbakterien durch die Medikamente in ihrer Funktion stark gehemmt wurde. Medika­mente sind in der westlichen Welt einer der stärksten Einflussfaktoren auf das Mikrobiom. Wir schauen uns hier am EMBL aber auch den umgekehrten Weg an: Was machen die Mikro­ ben mit einem Medikament?

Und?

Das Mikrobiom besitzt ein enormes metaboli­sches Potenzial ...

... sprich: eine große Abbau- und Umbaukraft ...

... die Darmbakterien können Wirkstoffe sowohl aktivieren als auch deaktivieren. Wir konnten beispielsweise zeigen, dass das gängige Darm­bakterium Bacteroides thetaiotaomicron ein antivirales Medikament genauso zerlegen kann wie die menschliche Leber. Wenn man das dafür zuständige Gen im Bakterium entfernt, schafft es das nicht mehr. Die Frage stellt sich also: Was leisten die zwei bis drei Millionen bakteriel­len Gene in uns eigentlich alles? Das haben wir mit 300 Medikamenten und rund 70 gängigen Darmbakterien getestet. Zwei Drittel der Arz­neien wurden von mindestens einem dieser Bakterien verwertet! Das heißt, sie beeinflussen auch die Nebenwirkungen und die Biover­fügbarkeit. Die Frage ist: Wie viel von der Dosis eines Medikaments entfaltet im Körper tatsäch­lich eine biologische Wirkung? Das bestimmt das Mikrobiom im Darm mit.

Wie sieht die Zukunft der Medizin im Lichte dieser Forschung aus?

Wenn man einmal im Jahr eine Kopfschmerz­tablette nimmt, spielt das kaum eine bedeu­tende Rolle. Sehr wohl allerdings, wenn wir über personalisierte Medizin sprechen, wie wir sie etwa in der Krebsmedizin haben. Denkbar ist, dass Patient:innen eine Stuhlprobe abgeben und dann nach der Analyse ihres Mikrobioms die für sie geeigneten Medikamente in der richtigen Dosis erhalten.

Wer könnte alles profitieren?

Patient:innen, die an Krebs erkrankt sind, Men­schen, deren Immunsystem unterdrückt werden muss, oder chronisch Kranke wie beispiels­weise Menschen mit Bluthochdruck, Diabetes, Autoimmunerkrankungen oder psychotischen Störungen.

Könnte man auch die Darmflora so ändern, dass ein wichtiges Medikament wieder passt?

Unbedingt. Wenn ein Patient ein bestimmtes Me­dikament wirklich braucht, sein Mikrobiom dieses Medikament aber eigentlich nicht zulässt, lässt sich das Mikrobiom dieses Menschen verändern. Etwa durch Nahrung für bestimmte Bakterien­arten, sogenannte Präbiotika, oder durch gesund­heitsfördernde Bakterienstämme, die Probiotika. Aber auch durch Antibiotika, wenn nämlich die Wirkung eines Medikaments wichtiger ist als die Erhaltung des Darm-Mikrobioms.

Ist das Zukunftsmusik oder eine Sache, die wir in einigen Jahren erleben?

Diese Form der effizienten individuellen Behand­lung steht definitiv am Horizont. Sie wird zumin­dest für gewisse Medikamente so kommen. Die Studienlage ist gut.

Lässt sich das Mikrobiom auch in der Entwicklung von Medikamenten nutzen?

Oh ja. Neun von zehn Wirkstoffkandidaten fallen während klinischer Entwicklungen raus. Ich bin überzeugt davon, dass das Mikrobiom dabei eine Rolle spielt. An den frühen Studien am Menschen nehmen vor allem gesunde Männer zwischen 20 und 35 Jahren teil. Das bildet nicht die individuelle Vielfalt der Mikrobiome ab, die dann erst später in den großen klinischen Studien sichtbar wird und so bei einem Teil der Patient:innen nicht zu den gewünschten Effekten führen kann. Daher kann es sein, dass womöglich Wirkstoffkandidaten aus­ sortiert werden, die für viele andere Patient:innen mit entsprechendem Mikrobiom hilfreich sein könnten. Wenn man künftig also von Anfang an das Mikrobiom mitberücksichtigen würde, könn­ten wir möglicherweise mehr effiziente Medika­mente in die Praxis bekommen.

Woran arbeiten Sie derzeit ganz konkret?

Wir untersuchen zurzeit Wirkstoffe, die es nie in die Klinik oder auf den Markt geschafft haben. Dabei wollen wir verstehen, ob das patient:innen­ spezifische Mikrobiom tatsächlich eine Rolle bei der fehlenden Wirksamkeit gespielt hat, und was wir daraus für die künftige Arzneimittelentwick­lung lernen können.

Prof. Zimmermann

Prof. Zimmermann

Wie kommt das Mikrobiom zum Menschen?

Ein Baby im Mutterbauch ist mikrobiolo­gisch ein unbeschriebenes Blatt. Erst im Geburtskanal wird es mit mütterlichen Bak­terien überzogen. Bei Kindern, die per Kaiser­ schnitt zur Welt kommen, folgt die erste Besiedelung über Hautkontakt. Anschlie­ßend erhält das Baby Bakterien über die Muttermilch, und nicht nur das: Die Milch füttert vor allem auch sein Mikrobiom, denn sie enthält Stoffe, die das Kind gar nicht ver­dauen kann. Mit etwa drei Jahren hat ein Mensch seine Mikroben­-Grundausstattung zusammen. Sie ist jetzt relativ stabil und ähnelt dem Profil von Erwachsenen.

Der Darm bestimmt mit

Darmbakterien zerlegen Stoffe, produzieren Vitamine, neutralisieren Gifte und bringen dem Immunsystem bei, was gute und was schlechte Bakterien sind. Dabei stehen sie mit Leber oder Lunge, mit Haut, Herz oder Hirn und weiteren Organen in Kontakt. Ein feines Gleichgewicht, die Homöostase, herrscht, wenn ein Mensch gesund ist. Entsteht im Mikrobiom jedoch ein Ungleichgewicht, kann das auch Auswirkungen auf Organe haben.

Das Mikrobiom wird unter anderem mit der Entstehung von Krebs, Entzündungskrankheiten, Nieren­ und Leber­ leiden und Stoffwechselerkrankungen wie Fettleibigkeit zusammengebracht, aber auch mit Depressionen und anderen psychiatrischen Erkrankungen. Doch genauso wie die Darmflora Krankheiten befeuern kann, kann sie diese auch verhindern oder lindern: indem das Darm­mikrobiom gezielt mit „guten“ Bakterien versorgt wird, die wiederum schädliche Keime verdrängen.

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