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Smart Hospital - wie Künstliche Intelligenz und Digitalisierung unsere Kliniken ändern werden

Smart Hospitals bringen digitale Technologien und lernende Computersysteme auf alle Ebenen des Klinikbetriebs. Prozesse sollen dadurch effizienter, sicherer und vorausschauender gesteuert werden und der Mensch letztlich stärker in den Mittelpunkt rücken. Als Vorreiter gilt das Universitätsklinikum Essen, das am Konsortium SmartHospital.NRW beteiligt ist.

Smart Hospital Essen Anke Diehl

Was ist ein Smart Hospital?

Ein Smart Hospital, auch digitales Krankenhaus oder Krankenhaus 4.0, ist ein Krankenhaus, das digitale Möglichkeiten und Künstliche Intelligenz auf allen Ebenen des Krankenhausbetriebs nutzt, um Patientinnen und Patienten besser zu behandeln, das Klinikpersonal zu entlasten und medizinische Prozesse effizienter zu gestalten.

 

 

Dr. Anke Diehl ist Chief Transformation Officer am Essener Universitätsklinikum und leitet das Konsortium SmartHospital.NRW. Dort wird erforscht, wie der Klinikbetrieb mit Künstlicher Intelligenz verbessert werden kann, aber auch, wie der Wandel hin zum smarten Krankenhaus gelingen kann. Anke Diehl ist auch eines der sieben Mitglieder des vom Gesundheitsministerium berufenen „Nationalen Expertengremium für Interoperabilität im Gesundheitswesen“, dem Interop Council.

Foto: O. Hartmann

Frau Dr. Diehl – das Krankenhaus ist für viele Menschen ein emotionaler, ja, biografischer Ort. Jetzt wird es zum „Digital Care-Konzern“. Wieviel Krankenhaus bleibt im Smart Hospital noch übrig?

Da bleibt viel übrig, vermutlich gar mehr, als wir je hatten. Wir brauchen empathische Zukunftsmedizin – und das smarte Krankenhaus ermöglicht sie.

Wie das?

Heutzutage sind viele Prozesse in nicht-digitalen Krankenhäusern entweder redundant oder lückenhaft organisiert: Sie werden beispielsweise mit der Papierakte zum CT geschickt oder müssen mehrfach die gleichen Daten angeben. Gleichzeitig haben Ärzt:innen gar nicht Zugriff auf sämtliche Informationen aus Ihrer Vorgeschichte. Das können wir uns nicht weiter leisten.

Sie sollen als Ärztin einst täglich ein bis zwei Stunden mit dem Suchen von Unterlagen beschäftigt gewesen sein …

… ja, in der Radiologie habe ich früher stundenlang nach ausgedruckten Röntgenbildern gesucht und auch heute müssen sich Klinik-Ärzt:innen immer noch vielfach mühselig Informationen zusammenklauben.

Stellen Sie sich eine digitale Dokumentation im Krankenhaus vor, die künftig mit Sprachassistenz- bzw. Sprachsteuerungssystemen läuft. Sie können an einem Katheter-Arbeitsplatz den Sprachbefehl erteilen: „Ich möchte alle Voruntersuchungen mit Blutungsereignis“ – und sehen auf Ihrem Monitor die entsprechenden Ergebnisse. Sie scrollen mit Wischbewegungen und zoomen mit Fingerbewegungen in der Luft … Genauso ein bettlägeriger Patient: Statt einen Pfleger zu rufen, wenn die Sonne ihn blendet, lässt er per Sprachbefehl die Jalousie herunter. Oder fragt sein persönliches Infotainment-System für seinen Besuch: „Wo ist die nächste Caféteria“ – oder die Patientennavigation „Wie komme ich dorthin“?

Solch ein Krankenhaus ist doch wunderbar: Maschinen erledigen Routineaufgaben, während das medizinische und pflegerische Personal Zeit für emphatische Medizin gewinnt. Studien zeigen, dass der Behandlungserfolg in wesentlicher Form vom Arzt-Patienten-Verhältnis abhängt. Das ist nicht ersetzbar und genau das können wir mit dem smarten Krankenhaus stärken.

Geht es beim smarten Krankenhaus also in erster Linie um eine durchdigitalisierte Infrastruktur?

Nein – es geht weit darüber hinaus. In und außerhalb der Krankenhausmauern fallen zu Patient:innen so viele Daten an, die wir intelligent verknüpfen und mit Algorithmen nutzen wollen, um Ärzt:innen bei der Diagnose zu unterstützen, um zu helfen, die geeignete Therapie zu bestimmen oder auch, um aus langen Untersuchungsberichten ein Kondensat für die weiterbehandelnden Ärzt:innen zu ziehen.

Verschieben sich mit der Digitalisierung von Krankenhäusern auch Rollen?

Natürlich operiert ein Operateur an einem smarten Krankenhaus weiterhin und ein Pflegender pflegt. Aber wir müssen uns ein Stückweit davon lösen, dass Mediziner:innen die Anweisungen gegeben und die anderen Berufsgruppen sie ausführen.

Die Digitalisierung in der Medizin ist nicht einfach die Technisierung analoger Prozesse. Sie bringt einen kompletten Kulturwandel mit sich. Allein schon die Patient:innen kommen heute mit ganz anderen Erwartungen: Sie sind informiert, gut vernetzt und wollen auch im Krankenhaus ihre digitalen Gewohnheiten nicht komplett ablegen.

Warum braucht es dafür gleich den Kulturwandel?

Man muss auf dem Weg zum digitalen Krankenhaus von allen Seiten hören, was sich nutzeroptimiert sinnvoll umsetzen lässt. Und die Nutzer:innen sind eben die verschiedenen Berufsgruppen im Krankenhaus, die Patient:innen und die Angehörigen. In unseren Lenkungsgruppen in Essen sitzen beispielsweise Mediziner:innen, ITler, Techniker:innen, Pflegende, therapeutische Berufsgruppen, bis hin zur Parkraumverwaltung  an einem Tisch: Wenn man beim Krankenhaus nicht gut parken kann, dann ist das schon mal ein schlechter Start.

Nicht jeder ist ein Digital Native – was ist mit älteren Patient:innen?

Das fordert uns freilich heraus, denn keine Patientengruppe darf durch die Digitalisierung ausgegrenzt werden. Aber Medikamentenlisten einmal in ein Tablet zu tippen, ist immer noch besser, als wenn man sie immer wieder von Neuem auf Papier angeben muss oder entsprechende Unverträglichkeiten bzw. Eingabefehler dann übersehen werden, die in dem Tablet-Programm automatisch mit einem roten Ausrufezeichen angezeigt werden.

Erinnern wir uns an die Einführung der Fahrkartenautomaten bei der Deutschen Bahn: Da standen damals überall Begleitungen an den Automaten und haben einem geholfen. So könnten wir es in Smart Hospitals auch machen.

Wie bereiten Sie Ihre Mitarbeitenden in Essen auf den Umgang mit digitalen Helfern vor?

Wir schulen die Berufsgruppen getrennt, beispielsweise für die Nutzung der elektronischen Patientenakte (ePA). Da die größte Berufsgruppe, die diese Akte intern bedient, die Pflege ist, haben wir dort ePA-Trainer:innen, die früher in Pflegeberufen waren. Das ist ein totales Erfolgsmodell. Denn in Deutschland traut man sich oft nicht, Fragen zu stellen. Wenn aber „die IT-ler“ aus der gleichen Berufsgruppe kommen, können die Fragenden sicher sein: ‚Die sprechen meine Sprache und finden meine Fragen nicht dumm.

Sie stehen mitten im Entwicklungsprozess: Wo steht das Smarte Hospital am Ende bestenfalls?

Wir wünschen uns, dass sich die Mauern des Krankenhauses als Ort der Spezialversorgung auflösen, und dass es intelligent und vor allem sektorenübergreifend arbeiten kann und sich auf die umfassende Krankengeschichte der Patient:innen fokussiert.

Schon vor dem Krankenhausbesuch fallen ja verschiedenste medizinisch relevante Daten an. Wir könnten damit nicht nur Diagnosen und Therapieplanungen genauer machen, wir könnten mithilfe von Künstlicher Intelligenz auch sehen, wenn sich eine Erkrankung anbahnt.

Aber noch immer sind die Daten, die ein Hausarzt erhebt, anders als die Labordaten oder die Klinikdaten. Und es gibt keine Straße dazwischen, die sie zusammenbringt. Wir könnten schon heute viel stärker Gesundheit erhalten – würden die Daten miteinander sprechen.

Was kostet uns die fehlende Datenzusammenführung und Interoperabilität in Deutschland gesundheitlich?

Wir zahlen einen hohen Preis. Allein bei Krebs. Wir könnten viel mehr anhand von Daten erkennen, z.B. die individuelle Krankheitsentwicklung – und dann sprechen die verschiedenen Datensysteme nicht miteinander und jedes Bundesland hat eigene Krebsregister. Das ist befremdlich.

Welche Risiken bringt ein Smart Hospital mit sich – was, wenn ein Hackerangriff kommt?

Alles, was übers Internet geht, ist Angriffen ausgeliefert. Da sind Kliniken wie Stromanbieter „kritische Infrastruktur“ und brauchen eine entsprechende Sicherheitsarchitektur und Schulung der Nutzer:innen. Kürzlich habe ich von einem Fall gehört, bei dem ein Mann Geld von seinem Onlinekonto verloren hat: er hatte alles gut verschlüsselt – außer seinen vernetzten Kühlschrank, der im W-Lan stand.

Wir sind als Teil der kritischen Infrastrukturen entsprechend zertifiziert und arbeiten eng mit den Behörden zusammen, denn derartige Risiken dürfen keinesfalls verhindern, dass wir die entsprechende Technik überhaupt nutzen. Der Benefit, den wir durch die digitale Gesundheitswelt erhalten ist nämlich um ein Vielfaches höher!

 

Smart Hospital – 4 Beispiele

1. Sprachsteuerung für Krankenhauspatient:innen

HEUTE: Ein bettlägeriger Mensch muss in seinem Krankenzimmer und für jeden Handgriff durch Betätigung der Klingel das Pflegepersonal rufen und um Unterstützung bitten.

MORGEN: Sprachgesteuerte Systeme unterstützen Patient:innen und entlasten das Krankenhauspersonal. So kann ein Patient per Sprachbefehl beispielsweise in seinem Zimmer die Jalousien herunterlassen oder Ärzt:innen können sich per Sprachbefehl zusätzliche Unterlagen anzeigen lassen.

2. KI-gestützte Gesundheitsdatenanalyse zur Diagnostikunterstützung

HEUTE: Wenn ein Patient im Krankenhaus eintrifft, in einer Notlage oder geplant, dann kennt das medizinische Personal dort immer nur einen Teil der Daten aus seiner medizinischen Vorgeschichte. Gesundheitsdaten liegen bis heute in verschiedenen Sektoren oder Silos und können meist nicht miteinander verknüpft werden.

MORGEN: Die Gesundheitsdaten eines Menschen sind vernetzt, interoperabel und in der elektronischen Patientenakte abrufbar. Künstliche Intelligenz (KI) filtert die wichtigen Informationen heraus und gibt Ärzt:innen und Pflegenden entscheidende Hinweise auf dem Weg zur Diagnose. Statt langer Entlassungsbriefe gibt es für niedergelassene Ärzt:innen ein Kondesat der wesentlichen Informationen – erstellt von einer KI.

3. Virtual Reality für Kinder

HEUTE: Kleine Eingriffe im Krankenhaus wie eine Gewebeprobe oder Untersuchungen wie eine Kernspintomographie (MRT) sind für Kinder beängstigend und werden dadurch umso schlimmer erlebt.

MORGEN: Digitalisierung schafft spielerische Mittel, um Kinder auf entsprechende Untersuchungen vorzubereiten und sie durchzuführen. In einem Pilotprojekt der Universitätsklinik Essen gewöhnen sich Kinder mit einer VR-Brille beispielsweise spielerisch an eine MRT, sie lernen Mut-Sprüche und erhalten Wissen zu Magnetismus.

4. Prädiktiver, präventiver Blick Umgang mit potenziellen Erkrankungen

HEUTE: Krankenhäuser werden aufgesucht, wenn eine Erkrankung in einem fortgeschrittenen Stadium ist, wenn beispielweise ein Tumor entfernt oder ein Diabetes-Schaden behandelt werden muss.

MORGEN: An Gesundheitsdaten kann beispielsweise abgelesen werden, dass sich eine Krebserkrankung anbahnt oder ein Folgeschaden durch Diabetes heraufzieht. Wenn Gesundheitsdaten eines Patienten und medizinische Fachdaten intelligent miteinander verknüpft werden, können Algorithmen helfen, Krankheiten schon sehr früh, in ihrem Entstehen, zu erkennen und vorausschauend zu behandeln.

 

 

Foto: Shutterstock

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