Lesezeit: 4 min.

„Eine digitale Zweiteilung stellt Ältere ins Abseits.“

Ein Herr hat eine Virtual-Reality-Brille auf

RA Erhard Hackler, Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Seniorenliga, Bonn

Die Digitalisierung unserer - alternden – Gesellschaft schreitet rapide voran.

Dieser Innovationsprozess ist grundsätzlich zu begrüßen, bieten die neuen Technologien doch in vielen Bereichen einen erheblichen Nutzen, zunehmend und gerade auch für die älteren Generationen.

Beispielhaft nenne ich solche digitalen Assistenzsysteme im Auto, die in besonderer Weise ältere Fahrer unterstützen, aber auch Smart-Home-Anwendungen oder die Erfassung, Speicherung und Weiterleitung biometrischer Daten und Fakten.

Eine Zweiteilung in der Digitalisierung der Gesellschaft schließt Menschen aus - auch vom Nutzen der Telemedizin!

Bei näherem Hinsehen gewinnt man den Eindruck, dass wir in Deutschland seit der beginnenden „Digital Divide-Debatte“ um das Jahr 2000 herum zu wenig gelernt haben, wenn es darum geht, die Älteren auf unserem Weg in die digitale Zukunft mitzunehmen.

Aus unserer täglichen Arbeit wissen wir allerdings um die Aufgeschlossenheit der älteren Generationen für neue technische und technologische Angebote, sofern diese einen relevanten Nutzen bieten, verstanden werden und ein Gefühl von Sicherheit hinsichtlich Bedienbarkeit und Datensicherheit vermitteln.

Senioren werden nicht adäquat auf die Digitalisierung vorbereitet.

Digitale Angebote verlangen allerdings nach einem passenden Endgerät nebst möglichst schnellem, kostengünstigem Internetzugang. Hier hat Deutschland leider noch enorme Defizite, die schnellstmöglich zu beseitigen sind.

Rund zehn Millionen Senioren haben laut einer Studie der Universität Bremen noch nie das Internet genutzt. Der D21-Digital-Index zeigt zudem auf, dass nur rund die Hälfte der 60-69-Jährigen ein Smartphone besitzt. Vom Besitz eines solchen Gerätes darf man jedoch nicht automatisch ableiten, dass der Besitzer seine Funktionen umfassend versteht und diese auch in vollem Maße nutzt!

Verfrachtet die digitale Gesellschaft Ältere ins digitale Abseits?

Der Begriff der noch „digital Abseitsstehenden“ zeichnet ein zutreffendes Bild, so dass sich die Frage stellt, wer holt die Senioren aus dem Abseits heraus?

Darüber, dass Kitas und Schulen Kinder und Jugendliche auf unsere  digital wachsende Welt qualifiziert vorbereiten, haben wir gesellschaftlich wohl Konsens. Leider fehlt eine solch klare Positionierung einschließlich klar identifizierbarer Kompetenzträger für die Seniorinnen und Senioren. Das müssen und wollen wir ändern; politisch verantwortet und zügig umgesetzt!

Denn wie soll Deutschland, das Land mit der weltweit zweitältesten Bevölkerungsstruktur, die Vorteile der Digitalisierung und der gesellschaftlichen Folgen nutzen und kapitalisieren, wenn je nach Betrachtung 15-20 Prozent der Bevölkerung im digitalen Abseits stehen? Dabei sprechen wir über 12 bis 16 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger.

Die Zeit für Maßnahmen wird angesichts der Innovationszyklen knapp.

Es ist Eile geboten! Zum einen müssen die „Offliner“ ins Netz gebracht werden. Hier sehen wir gute Chancen durch den neuen „Voice- first-Trend“: Eine Steuerung der Geräte über Spracheingabe vereinfacht die Nutzung der Digitalisierungsvorteile. Jedoch ist gerade diesbezüglich Aufklärungsarbeit zu leisten, damit Ältere verstehen, was wie funktioniert und der Technik und ihrer Auswirkungen daher vertrauen können.

Telemedizin darf die Nutzer nicht überfordern.

Ein weiteres Augenmerk ist auf die nach der D21-Definition benannten Gruppen der „Minimal-Onliner“ und „konservativen Gelegenheitsnutzer“ zu richten, die rund 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die Mehrzahl ist den 50plus- Generationen zuzurechnen und stößt bei der Nutzung digitaler Technologien in vielen Fällen an Grenzen; mit der Folge einer gewissen Technikfrustration. Diesem Phänomen gilt es zielgruppenaffin durch praxisnahe Aufklärung gegenzusteuern. Denn ohne positive Erfahrungen werden sich Technikenttäuschte nicht für erklärungsbedürftige Innovationen wie die Telemedizin öffnen, sondern vielmehr ins digitale Abseits wegdriften!   An die Adresse von Politik und Industrie richtet sich daher mein eindringlicher Appell, die Angehörigen der älteren Generationen nicht weiter sich selbst oder der Zivilgesellschaft zu überlassen!

Anbieter telemedizinischer Geräte und Programme müssen digitale Kompetenzen zielgruppenspezifisch aktiv und nachhaltig fördern!

Es ist keineswegs zu spät, aber auch keine Stunde zu früh, um Senioren digitale Kompetenzen zu vermitteln! Denn erst dann kann sich das volle Potenzial der Telemedizin sichtbar und effizient entwickeln sowie qualitativ wachsen und ausbreiten.

  1. Rüdiger Peter Quint

    Ein ganz wichtiges Thema für die Zukunft unserer Gesellschaft. DIGITALISIERUNG muss alle einbeziehen und Teilhabe und Teilnahme für jeden garantieren.
    Schon die Tatsache, dass digitale Infos programmbezogen fast ausschließlich in englischer Sprache erfolgen, darf nicht hingenommen werden. Denn hier wird eine zweite Barriere aufgebaut. Die Politik, die Digitalwirtschaft, aber auch das Bildungsbürgertum sind gefordert, Partizipation für alle zu gewährleisten. Diejenigen, die heute schon ausgesperrt sind, brauchen unsere Unterstützung.

    vor 5 Jahren

Wollen Sie namentlich in der Diskussion genannt werden?

Abonnieren Sie unseren Newsletter!