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„Zoonosen sind ein bedeutendes Problem für die Gesundheitssysteme weltweit.“

Zoonosen: Prime-Time für Erreger

Dass Erreger von Tieren auf Menschen überspringen (und umgekehrt), ist nichts Neues – auch, wenn es im Fall von SARS-CoV-2 besonders verheerend war. Doch solche Spill-Over-Events könnten sich häufen, denn sie werden durch heutige Lebenswelten begünstigt. Die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen beschäftigt sich intensiv mit diesen Erregern – Viren, Pilzen, Parasiten, Prionen und Bakterien – und den Krankheiten, die sie verursachen. Ein Gespräch mit der Geschäftsführerin am Standort Riems, Dr. Dana Thal.

Frau Dr. Thal, wie bedrohlich sind Zoonosen?

Um diese Frage für die Zukunft zu beantworten, genügt ein Blick in die Vergangenheit. Und da wird sehr deutlich: Das ist keine einmalige Sache. Zoonosen gab es schon immer und wird es wahrscheinlich immer geben. Denn der Mensch ist ein Teil des Tierreichs, das vergessen wir meistens. Wir sind Säugetiere, biologische Wesen. Und deshalb kann immer ein Erreger auf das Tier ‚Mensch‘ überspringen oder umgekehrt. Gefährlich wird es, wenn Erreger den Menschen infizieren, sich in ihm vermehren und dementsprechend krank machen. Und wenn dann noch die Fähigkeit des Erregers besteht, von Mensch zu Mensch übertragen zu werden, kann es besonders problematisch werden, wie die aktuelle Pandemie zeigt.

Studien zufolge häufen sich zoologische Spill-Over-Events in den vergangenen Jahren. Woran liegt das?

Verschiedene Parameter weisen darauf hin, dass wir vermehrt in Kontakt mit zoonotischen Erregern kommen. Da ist zum einen unsere Bevölkerungsdichte: Es gibt einfach mehr Menschen und dadurch mehr Schnittstellen vom Menschen zu anderen Nutz- und Wildtieren. Dann haben wir den globalen Waren- und Reiseverkehr – da kann die Verbreitung eines zoonotischen Erregers blitzschnell gehen. Außerdem hat sich die Landnutzung komplett verändert: Wir dringen immer mehr in Lebensräume ein, wo wir vorher nicht waren. Auch unsere Tierhaltung hat sich intensiviert. Und dazu kommt: Der Klimawandel wird in Zukunft noch stärker dazu führen, dass sich Überträger von zoonotischen Erregern – sogenannte Vektoren wie bestimmte Stechmücken – jetzt auch in vormals kälteren Regionen auf der Nordhalbkugel ansiedeln können. Das erhöht ebenfalls das Risiko von durch Vektoren übertragenen Zoonosen. Zoonosen sind ein bedeutendes Problem für die Gesundheitssysteme weltweit.  

Was sind Zoonosen?

Einige der ältesten bekannten Krankheiten, wie Tollwut, Pest oder Tuberkulose zählen zu den Zoonosen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie wechselseitig zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können. Zoonosen können durch Viren, Bakterien, Parasiten oder Prionen ausgelöst werden und halten sich nicht an Landesgrenzen. Rund 60 Prozent aller menschlichen Infektionskrankheiten gelten als zoonotisch. 75 Prozent aller neu auftretenden Infektionskrankheiten haben einen zoonotischen Ursprung. Beispiele sind Ebola, HIV, SARS-CoV- oder die Grippe, aber auch lebensmittel-übertragene Zoonosen wie Listerien-, Campylobacter- oder EHEC-Infektionen.

Also Prime-Time für neue zoonotische Erreger?

Kann man so sagen. Leider. Es ist auf jeden Fall ein Problem, das wir nicht so schnell loswerden.

Und was bedeutet „neu“?

Das bedeutet schlicht, dass ein Erreger bislang nur bei Tieren bekannt war und man ihn plötzlich erstmalig im Menschen sieht. Oder umgekehrt. Und es werden natürlich auch immer wieder Pathogene entdeckt, die man vorher noch gar nicht kannte.

Ist solch ein Überspringen ein Ereignis, das alle Nas‘ lang vorkommt?

In Hinblick auf die Evolutionsgeschichte des Menschen, ja. Der Erreger muss jedoch einige Barrieren überwinden, damit es dazu kommt. Und dann ist eben die Frage, wie schlimm es ist: Fällt es uns überhaupt auf? Entwickelt der Mensch Krankheitssymptome? Und was dann sehr wichtig ist: Kann eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung stattfinden? Es kann gut sein, dass sporadische Spill-Over erst einmal gar nicht bemerkt werden.

Warum war SARS-CoV2 dann so verheerend?

Bei SARS-CoV-2 sind viele ungünstige Faktoren zusammengekommen, wie eine leichte Übertragbarkeit über die Luft, eine fehlende Grundimmunität in der Gesellschaft, die Infektiosität asymptomatischer Patienten, und Gesellschaften mit vielen Risikopatienten wie Älteren oder Übergewichtigen. Ein an Ebola Erkrankter würde beispielsweise nicht auf die Idee kommen, in einen Supermarkt zu gehen, ein SARS-CoV-2-Infizierter ohne Symptome schon. All diese Faktoren haben die rasante weltweite Verbreitung ermöglicht.

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Mit welchen Erregern müssen wir in Zukunft rechnen?

Ein großes Thema sind Grippe-Viren. Der Influenza-Erreger ist ein sehr variables Virus. Und beim Grippe-Virus wird momentan geschaut, dass vor allem die Situation in der Schweinehaltung unter Kontrolle bleibt. Viele Schweine auf engem Raum führen zu einem regen Austausch von genetischem Material zwischen verschiedenen Stämmen der Grippe-Viren. Da bauen sich dann neue Erreger zusammen, die gegebenenfalls gefährlich werden können für den Menschen. Dann natürlich die Vogelgrippe. Auch da werden wir zukünftig immer wieder sehen, dass der Erreger sporadisch auf den Menschen übergehen kann. Und was wir jetzt in Nordeuropa im Blick behalten müssen, unbedingt: Infektionskrankheiten, die im globalen Süden verstärkt heimisch waren und sind. Die aber aufgrund klimatischer Veränderungen zukünftig auch bei uns relevant werden können. 

Weil hier plötzlich Stechmücken leben, die tropische Erkrankungen wie das Dengue-Fieber übertragen können?

Ja, zum Beispiel. Oder Chikunguya. Das West-Nil-Virus ist bei uns bereits angekommen und kann auch über unsere gemeine Hausmücke übertragen werden.  Das Gelbfieber-Virus kann kommen, zumal solche Erreger auch immer mal wieder über den Reiseverkehr eingeschleppt werden können. Wir täten gut daran, uns mit entsprechender Forschung auch prophylaktisch gegen diese Viren zu wappnen.

Wie gut sind wir in Deutschland aufgestellt, um Zoonosen zu begegnen?

Hierzulande hat die Zoonosenforschung die ganze Komplexität des Themas erfasst. Eine große Leistung ist das One-Health-Konzept: Wir versuchen, Human- und Tiermedizin zusammenzubringen und eben auch die Umweltaspekte mit einzubeziehen. Da gibt es mittlerweile auch Erfolge, etwa bei der Tollwut: Durch eine Impfung der Tiere konnte man die Erkrankung bei den Menschen in einigen Bereichen der Welt ausrotten. Und es gibt viele gemeinsame Projekte von Human- und Veterinärmedizin, zum Beispiel in der Impfstoffforschung, und außerdem noch Monitoring-Ansätze. 

Wie funktioniert so ein Monitoring?

Beim West-Nil-Virus wurde damit gerechnet, dass es nach Deutschland kommt: Deshalb schlossen sich verschiedene Institutionen für ein Wildvogel-Monitoring zusammen und nahmen regelmäßig Blut von Wild- und im Zoo lebenden Vögeln. Dadurch hat das Friedrich-Loeffler-Institut den Eintrag des Virus 2018 frühzeitig sehen können. Und dann konnte man schauen, ob man es nun beim Menschen findet oder auch beim Pferd, denn beide können von Mücken gestochen werden. Beide können erkranken, im schlimmsten Falle tödlich. Das zeigt: Wenn man aufmerksam ist, kann man Infektionen relativ schnell bemerken. Wir sollten noch mehr solche Monitorings einführen.

Und wie kommen die Erkenntnisse der Monitorings dann in die Fläche?

Das wird über die Landesgesundheitsämter und Veterinärämter an die niedergelassene Ärzteschaft weitergegeben. Die Gesundheitsämter leisten auch Aufklärungsarbeit für die breite Bevölkerung und Risikogruppen.

Lässt sich die Entstehung zoonotischer Erreger überhaupt verhindern?

Die Entstehung selbst eigentlich nicht. Aber man kann gegebenenfalls die Möglichkeiten in bestimmten menschengemachten Umgebungen mit präventiven Maßnahmen reduzieren. Zum Beispiel durch die Reduktion des Kontaktes von Wild- und Nutztieren. Man sollte sich auch bewusst sein, dass, wenn man in neue Lebensräume vordringt, dort auch Erreger sind. Wenn es allerdings bereits zu einem Spill-Over gekommen ist, ist entscheidend, dass man die Mittel hat, ihn frühzeitig zu detektieren, um die Verbreitung der neuen Erreger eindämmen zu können.

Wird das Thema ‚Zoonosen‘ auf politischer Ebene genug beachtet?

Die Relevanz zoonotischer Erreger ist sicherlich vielen durch COVID-19 noch einmal verstärkt bewusst geworden. Dies gilt auch auf politischer Ebene. 2020 wurden viele Initiativen gegründet, die dieses Thema nun angehen und eine Zusammenarbeit im Sinne des One-Health-Gedankens einfordern. Zum Beispiel die deutsch-französische PREZODE-Initiative, das neu von WHO, FAO, UNEP und OIE einberufene One Health High-Level Expert Panel oder die vermehrte Einbindung von Biodiversitäts- und Umweltfragen in die Thematik. Es ist zu wünschen, dass die Zoonosenforschung langfristig mit der Bereitstellung von Projekt-Mitteln sichergestellt wird. Die aktuelle Pandemie zeigt auf jeden Fall, dass sich die Investition lohnen könnte. Gerade auch angesichts der zukünftigen Herausforderungen durch den Klimawandel und die weiter wachsende Erdbevölkerung. 

Nationale Forschungsplattform für Zoonosen

Die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen ist die Dachstruktur für die Zoonosenforschung in Deutschland. Sie hat inzwischen über 1000 Mitglieder und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG), dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sowie dem Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) unterstützt.

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Foto:NIAID

Partikel des Schweinegrippe-Virus Farbige transmissionselektronenmikroskopische Aufnahme von SW31 (Schweinestamm) Influenzaviruspartikeln (grün), die von der Oberfläche einer MDCK-Zelle (rosa) knospen. Das Bild wurde in der NIAID Integrated Research Facility in Fort Detrick, Maryland, aufgenommen und farbverstärkt. 

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